Seelsorge in Washington:"Stimmen werden laut: Ich kann es nicht mehr hören."

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Der Wandel vom Schock zum Überdruss.

Aufgezeichnet von Eike Schrimm

Die Kirchengemeinde deutschsprachiger Katholiken in Washington zählt 200 Familien. Bernd Kaut leitet als Prälat seit 1995 die Kirchengemeinde und erzählt, welche Gefühle der 11. September ausgelöst hat:

"Zum Glück war unter den Opfern kein Mitglied der Gemeinde. Einige deutsche Offiziere waren zur Zeit des Anschlags im Pentagon - aber in dem Teil, der nicht getroffen worden ist. Sie waren froh, so unbeschadet davongekommen zu sein.

Aber viele in der Gemeinde spürten jetzt zum ersten Mal , wie anfällig ihre glückliche, vertraute Welt ist, wie schnell die eigene Familie getroffen werden kann. Das Thema Terror beherrschte jede Tagesordnung. Jeder musste sich das Geschehen von der Seele reden.

Aber schon bald kehrte der Alltag zurück: Unsere Kirchenmitglieder arbeiten in der Botschaft, bei der Weltbank, beim internationalen Währungsfond, in Versicherungen oder bei der Bundeswehr. Ihre Arbeit ist oft sehr anspruchsvoll und lenkte sie schnell ab vom 11. September.

Nur wollte fast keiner mehr fliegen. Die Folge: Familien sahen sich eine lange Zeit nicht mehr, weil geplante Treffen oder das gemeinsame Weihnachtsfest abgesagt wurden. Jeder blieb dort, wo er war.

Die Kinder in unserer Gemeinde bewältigen das Geschehen unterschiedlich. Manche wollten darüber nicht reden. Das heißt aber nicht, dass sie sich damit nicht auseinandergesetzt haben. Gerade ihre Zeichnungen geben preis, dass sie das Thema doch sehr stark bewegt hat.

Innerhalb des Jahres hat sich der 11. September zu einem Ereignis entwickelt, der vergleichbar ist mit einem tragischen Unfall in der Familie.

Jetzt - ein Jahr später - zelebriert die amerikanische Regierung förmlich das Ereignis. Es sieht fast so aus, als nutze Bush das prächtige Gedenken, um seine nächsten militärischen Schritte zu rechtfertigen. Stimmen werden laut, die sagen: "Ich kann es nicht mehr hören."

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