Schwimmende Kasinos im US-Staat Iowa:Die goldene Gans am Mississippi

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Nur auf dem Wasser ist das Zocken legal - das bringt den guten alten Schaufelraddampfer wieder ins Spiel

Von Wolfgang Koydl

(SZ vom 16/17.08.2003) - Von Romantik keine Spur. Kein Zauber, kein Mythos, rein gar nichts. Wie ein missgeformter Legostein dümpelt die "Treble Clef" im trüb-braunen Wasser, und wenn am Heck nicht ein Schaufelrad befestigt wäre, müsste man schon zweimal hinsehen um zu erkennen, dass dieses Schiff mit seinen drei Decks eigentlich in der stolzen Tradition schneeweißer Mississippi-Dampfer steht. Gerade befindet sich die "Treble Clef" auf ihrer täglichen Cruise, doch diese Kreuzfahrt ist nicht weniger enttäuschend als das Schiff selbst, das mit seinen teils zugenagelten, teils Schmutz starrenden Fensterreihen eher die Ausstrahlung einer Hinterhof-Fassade hat.

Jeden Morgen um sieben legt die "Treble Clef" von ihrem Liegeplatz im Städtchen Davenport im US-Bundesstaat Iowa ab und treibt ein paar Meter hinaus in die Mitte des Mississippi. Dort wirft sie Anker und schaukelt zwei Stunden lang träge im Wasser, bevor sie wieder ans Ufer zurückkriecht, wo sie für die nächsten 22 Stunden fest vertäut wird und unter ihrem bekannteren Namen firmiert: "Rhythm City Casino".

Denn der Dampfer ist nichts anderes als ein riesengroßer schwimmender Spielsalon mit hunderten von Automaten und Black-Jack-Tischen. Das Publikum gehört weitgehend derselben Altersgruppe an wie die Passagiere einer Butterfahrt auf der Ostsee. Dass sie sich auf einem Schiff befinden, ist den Spielern gleichgültig. Selbst wenn die Fenster offen wären, würde ohnehin niemand hinausblicken, denn die Augen sind starr auf die rollenden Automaten-Walzen mit den Kirschen, den Kronen und den Glücks-Siebenern gerichtet.

Verordnete Geisterfahrt

Dass das Kasino gleichwohl jeden Tag zu einer Geisterfahrt in See sticht, ist gesetzlich vorgeschrieben. Denn in Iowa darf Glücksspiel nur zu Wasser betrieben werden, und einmal am Tag müssen die schwimmenden Spielsalons zudem beweisen, dass sie wirklich seetüchtig sind. "Das ist schon recht bizarr", gibt Kathy Obradovich von der Lokalzeitung Quad City Times zu. "Aber es geht noch bizarrer: Im Landesinneren hat man einen künstlichen See aufgestaut, damit man ein Kasino zu Wasser lassen konnte." Das freilich ist die groteske Ausnahme. Die meisten Spielkasinos liegen entlang des Mississippi vor Anker, der Iowas Grenze zu den Nachbarstaaten Wisconsin und Illinois bildet.

"Wir wollten an den Mythos des Dampfers, des Pokerspiels und des Flusses anknüpfen", erinnert sich Denny Jacobs, der 1992 als Abgeordneter des Parlaments von Illinois die Legalisierung des Glücksspiels erfolgreich betrieb, nachdem Iowa im Jahr zuvor als erster US-Bundesstaat vorangegangen war. "Außerdem", fügt Kathy Obradovich hinzu, "glaubte man, dass Glücksspiel auf Dampfern dem Zocken ein wenig von seinem halbseidenen Charakter nehmen würde."

Es war ein Akt schierer Verzweiflung, der die Volksvertretungen von Iowa und Illinois seinerzeit antrieb. Beide Staaten waren in den achtziger Jahren in eine tiefe strukturelle Wirtschaftskrise gestürzt, vor allem nachdem der Markt für Landwirtschaftsmaschinen eingebrochen war. "Knüppeldick haben wir's gekriegt", sagt Jacobs, und damit meint er vor allem jenen schwarzen Tag, an dem die Firma John Deere, weltweit Marktführer für Traktoren und Mähdrescher und größter Arbeitgeber der Region, einen Großteil der Produktion ins Ausland verlegte.

"Rust Belt", "Rostgürtel", nannte man die Region seinerzeit, und noch heute kann man sehen, dass der Name passte. Verrostet sind Träger der Eisenbahnbrücken, die sich über den Mississippi schwingen, verrostet sind die Kräne des Zementwerkes im Hafen von Davenport, und rostfarben sind die Backstein-Ruinen von Fabriken wie der "Crescent Macaroni and Cracker Company". Sie künden ebenso wie die hochherrschaftlichen Gründerzeit-Villen am Ufer des Mississippi von den alten Tagen, in denen Davenport und seine Nachbargemeinden Rock Island und Moline auf der Illinois-Seite des Flusses stolz und wohlhabend waren und in denen ein gewisser Ronald Reagan hier seinen ersten Job als Radiosprecher bekam.

Der Fluss hat die Menschen angezogen, und der Fluss hat sie reich gemacht. Denn der Mississippi ist die Hauptschlagader Amerikas. Er durchläuft das ganze Land von Minnesota im Norden bis zum Golf von Mexiko im Süden und er teilt es in zwei ungleiche Hälften im Osten und im Westen. Jahrhunderte lang war er Knotenpunkt und Transportweg, und nie kam der "Große Vater der Wasser", wie der Fluss in der Sprache der Choc-taw-Indianer heißt, zur Ruhe: Beladene Barken, Schlepper und Flöße fuhren ihn hinab, und natürlich verkehrten hier die Prinzessinnen des Flusses, die Schaufelrad-Dampfer mit Namen wie "President", "Sultana" oder "Natchez".

Viele träge Tage lang dauerte so eine Reise. "Alles ist so ruhig und verklärt wie in einem Traumland", schwärmte Mark Twain, der Dichter des Mississippi. Um sich die endlos dahinschleichende Zeit zu vertreiben, zogen die Passagiere ihre Pokerkarten heraus, welche sie meist griffbereit in der Tasche stecken hatten. Auf manchen Schiffen wurden Spieler vom Kapitän zwar kurzer Hand über Bord geworfen; doch auf den meisten Dampfern war das Spiel erlaubt.

Es war die Zeit, in der professionelle Falschspieler und Kartenzinker ihr Unwesen trieben und den Viehzüchtern und Baumwollbaronen die Barschaft mitsamt der goldenen Taschenuhr und der diamantenen Krawattennadel abzockten. Einer der berühmtesten war Canada Bill, der für spätere Film-Charaktere Hollywoods Pate stand und den sein Komplize George Devol in seinen Erinnerungen anerkennend so beschrieb: "Er besaß eine quietschende Knabenstimme, unbeholfene, linkische Manieren und hatte eine Art törichte Fragen zu stellen, die jedermann glauben machte, dass er der krasseste Tölpel, der unerfahrenste Bauernfünfer sei. Doch wehe dem Mann, der sich mit ihm einließ."

Unheilige Dreifaltigkeit

Die große Zeit der Riverboat-Spieler dauerte nicht lange. Dann verlegten Devol, Canada Bill oder der stets tadellos wie aus dem Ei gepellte Doc Braggs ihr Geschäft auf die zwischen der Ostküste und Kalifornien verkehrenden Eisenbahnen. Doch eine feste Heimat hatte das Glücksspiel in den Vereinigten Staaten lange nicht, was auch nicht weiter ver-wundert in einem Land, an dessen Wiege der Puritanismus Pate stand.

Das Spiel ums Geld galt lange als Teufelszeug, genauso wie Sexualität oder Alkohol. Fromme amerikanische Christen mussten daher ihre Vorurteile bestätigt sehen, als in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich alle drei Elemente zu einer unheiligen Dreifaltigkeit zusammenfanden, nachdem die Mafia in dem staubig-verlorenen Wüstenkaff Las Vegas die ersten Kasinos einrichten durfte. Das Sündenbabel in Nevada war lange Zeit der einzige Ort in den USA, an dem Amerikaner legal Geld setzen, verlieren und - seltener - gewinnen konnten.

Noch nicht mal staatliche Lotterien waren gestattet, bevor der kleine Bundesstaat New Hampshire 1963 den Anfang machte. Doch erst 1988 kam die Kugel, wenn man so sagen will, richtig ins Rollen, als der Oberste Gerichtshof Indianern das Recht erteilte, in ihren Reservaten Roulette, Bingo, Baccara, Black Jack und andere Glücksspiele zu betreiben. Sehr schnell erwies sich, dass damit viel Geld zu verdienen war, und deshalb genehmigte Iowa 1991 als erster Bundesstaat Kasinos auf dem Wasser.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Heute gibt es nur noch drei Bundesstaaten - Hawaii, Utah und Tennessee - ohne irgendeine Form legalisierten Glücksspiels. Der Rest der Nation hingegen nimmt die in der Unabhängigkeitserklärung garantierte "Verfolgung des Glücks" recht wortwörtlich: Knapp 70 Milliarden Dollar gaben die US-Bürger im vergangenen Jahr für Glücksspiele, Pferderennen und Lotterien aus - und damit mehr als für Kinokarten, Videos und DVDs zusammengenommen.

Die generell risikofreudigeren Amerikaner schienen schon immer mehr Freude am Nervenkitzel des Zockens zu haben als die vorsichtigeren Europäer. "Ein Mann, der kein Poker-Spiel gewinnen kann, hat nicht das Zeug zum Präsidenten der USA", urteilte ein Professor des kalifornischen Whittier-College. Er wusste, wovon er sprach: Zu seinen Studenten gehörte Richard Nixon, der nicht nur gerne, sondern auch gut, beziehungsweise gewinnreich spielte.

Für die Bundesstaaten erwies sich das Glücksspiel als ausgesprochener Glücksfall. Da sie die Spiellust zum Teil recht kräftig besteuern, gewinnen sie immer. Im letzten Jahr strichen sie 20 Milliarden Dollar ein -knapp ein Viertel ihrer Gesamt-Einnahmen. Die Gouverneure beweisen mittlerweile, dass Glücksspiel Abhängigkeiten schafft, und zwar von leicht erwirtschafteten Steuereinnahmen. Je katastrophaler die Budgets der Bundesstaaten aussehen, desto bereitwilliger erteilen sie immer neue Genehmigungen für immer neue Kasinos. Inzwischen überlegen sogar Stadtverwaltungen von Chicago bis New York, ob nicht auch sie vom schnellen Glück profitieren sollten.

"Die Staaten haben schon immer damit herumgespielt", meinte Donald McGhie, der die Glücksspielbranche in Reno, Nevadas zweiter Zockermetropole nach Las Vegas, berät. "Aber nie war es ihnen so ernst damit wie jetzt, denn nie hatten sie solche Probleme wie jetzt. Früher haben die Staaten Glücksspiel besteuert, um es zu entmutigen; heute besteuern sie es, um selber Geld damit zu machen."

In Davenport und den Nachbargemeinden lässt sich ahnen, dass dem Wachstum freilich Grenzen gesetzt sind. Illinois etwa wartet - so der Ex-Abgeordnete Jacobs - "mit angehaltenem Atem" darauf, wie die Kasinos auf die Erhöhung der Gewinnsteuer auf 70 Prozent reagieren werden. Hinzu kommt, dass schon jetzt eine Slotmachine auf 74 Bürger kommt, und zu viel Konkurrenz erstickend fürs Geschäft wirkt. "Man drückt der goldenen Gans die Gurgel ab", befand Frank Fahrenholz, der Vorsitzende der Glücksspielgemeinschaft. "Das kann zwei Konsequenzen haben: weniger Eier oder eine tote Gans."

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