Schweizerische Volkspartei:Beim Abstieg wird es einsam

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Anführer, Galionsfigur und SVP-Übervater: Doch neuerdings gilt Scharfmacher Christoph Blocher vielen in der Schweiz zu weich.

Gerd Zitzelsberger

Beinahe läuft es in Vorderthal ab wie immer, wenn Christoph Blocher unters Volk geht: Schon eine Stunde vorher sind alle Stühle in der Mehrzweckhalle besetzt, Blocher spricht, seine Zuhörer applaudieren heftig und drängeln sich hinterher um den Politiker, um ihm die Hand zu drücken oder - noch besser - sich Schulter an Schulter mit dem Milliardär ablichten zu lassen, der aussieht, als gehörte ihm der Bauernhof nebenan.

Hält mittlerweile sogar inmitten seiner treuesten Anhänger zahme Reden: SVP-Vizepräsident Christoph Blocher. (Foto: Foto: AP)

Christoph Blocher fungiert offiziell als Vizepräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP). In Wirklichkeit ist er für die Partei weit mehr: Er ist ihre Galionsfigur, ihr Anführer und Übervater. Mit scharfem Rechtskurs, simplen Slogans und ausländerfeindlichen Kampagnen hat er die vor zwei Jahrzehnten noch bedeutungslose SVP längst zur stärksten politischen Kraft der Schweiz gemacht. Er selbst wurde zum bekanntesten und umstrittensten Politiker des Landes. Bislang steht die SVP politisch dort, wo Blocher sie haben will.

Der Auftritt in Vorderthal müsste auch ein Heimspiel für Blocher sein. Das Dorf liegt nur eine Autostunde von Zürich entfernt, und scheint doch ein Idyll ganz weit weg zu sein. Drei Kilometer talaufwärts endet die Straße, und von dort führen ins nächste Tal nur Fußwege. Hier, in der Innerschweiz, kommt die Eidgenossenschaft den Klischees noch ziemlich nahe. Bodenständig sind die Leute, nicht reich, aber sie haben ihr Auskommen.

"Hier ist die Welt noch in Ordnung"

Vorderthal mit seinen gerade tausend Einwohnern zählt 19 Vereine, und nach dem Schießen, Fischen, Turnen oder Musizieren geht man gemeinsam ins Wirtshaus. Im Dorf können sich immerhin sechs Gasthäuser halten. "Hier ist die Welt noch in Ordnung", sagt hinten im Saal stolz eine Zuhörerin Blochers, und Fremde brauche man da nicht. So soll es offenbar auch bleiben, bei der jüngsten Parlamentswahl haben 68 Prozent der Vorderthaler ihr Kreuzchen bei der SVP gemacht.

Vollkommen harmonisch ist die Welt der Vorderthaler aber neuerdings nicht mehr. Jedenfalls lässt Karl Mächler, der SVP-Ortsvorsitzende, Blocher hier am Nationalfeiertag erst einmal schmoren: Eine Dreiviertelstunde lang darf sich der Parteiübervater an der Blasmusik der Buechberg-Musikanten erfreuen, bevor sich die Zuhörer mit dem Absingen der Nationalhymne auf Blochers Festrede einstimmen. Sie spenden ihm hinterher zwar auch kräftig Beifall, aber aufstehen mag dazu nur ein kleiner Teil von ihnen.

Vor drei Monaten, als Blocher landauf landab für eine Verschärfung der ohnehin restriktiven Einbürgerungsregeln warb, gehörten Ovationen im Stehen noch zum festen Ritual bei seinen Auftritten. "Wir müssen Blocher dankbar sein für seine Leistungen, aber ich muss einem 68-jährigen Mann doch nicht alles nachreden", sagt der SVP-Anhänger und Jura-Student Erich Egli über die Stimmung des Publikums in Vorderthal. Solche Töne sind neu bei den SVP-Getreuen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer über das Ende Blochers politischer Karriere spekuliert.

Neu ist auch, dass in der Innerschweiz die regionale SVP-Prominenz lieber etwas Abstand lässt zwischen sich und Christoph Blocher. Das politische Schwergewicht der Gegend, ein Parlamentsabgeordneter namens Pirmin Schwander, ist gar nicht da, er habe andere Verpflichtungen, heißt es.

Und Judith Uebersax, die SVP-Präsidentin des Kantons Schwyz, in dem Vorderthal liegt, platziert sich weit genug von Blochers Tisch entfernt, um Smalltalk mit ihm zu entgehen. "Die Situation ist nicht glücklich und den Wählern schwer zu erklären", sagt Uebersax hinterher diplomatisch: "Die SVP muss rechts bleiben und sich weiterhin klar von den anderen Parteien abgrenzen." Was sie damit so deutlich nicht sagen mag, ist das: Der Scharfmacher Blocher gilt in der Innerschweiz neuerdings vielen als zu weich.

"Nein zur importierten Kriminalität"

Der Grund dieses distanzierteren Verhältnisses ist, dass Blocher ausgerechnet bei der Ausländerpolitik, dem Kernthema der SVP, eine Wendung eingelegt hat, die viele verblüfft: Wenn Rumänien und Bulgarien zur EU gehören, dann müsse auch die Schweiz ihre Grenzen für Zuzügler aus diesen Ländern öffnen, hat er erklärt.

Genau dieses wollte Blocher aber ursprünglich per Volksabstimmung verhindern. Der Slogan war bereits gefunden: "Nein zur Masseneinwanderung und importierten Kriminalität aus dem Osten! Nein zu noch größerem Sozialmissbrauch!" Doch dann liefen Großunternehmer innerhalb der SVP Sturm gegen diesen Kurs, denn im Gegenzug hätte die EU zentrale Verträge mit der Schweiz außer Kraft gesetzt. Sprich, Absatzmärkte und das Arbeitskräftereservoir der Schweizer Industrie kämen in Gefahr.

Angeschlagen war Blocher ohnehin, seit das Parlament ihn im Dezember als Mitglied der Allparteien-Regierung abgewählt und der liberale Flügel der SVP sich abgespalten hat. Der SVP-Parlamentarier Peter Spuhler, Fabrikant von Eisenbahnwaggons und seines phänomenalen wirtschaftlichen Aufstiegs wegen eine Art Nationalheld, machte sich bereits öffentlich Gedanken über das Ende der politischen Karriere Blochers. Da knickte der starke Mann der SVP ein.

Nur nicht einnebeln lassen

Im Eiltempo brachte Blocher die Parteifunktionäre, die beinahe geschlossen eine Volksabstimmung über die angeblich drohende Masseneinwanderung von Bulgaren und Rumänen gefordert hatten, mehrheitlich auf Gegenkurs. So kommt es, dass Christoph Blocher in Vorderthal inmitten seiner treuesten Anhänger eine richtig zahme Rede hält. Seine beiden Lieblingsstichwörter Masseneinwanderung und Ausländerkriminalität nimmt er gar nicht in den Mund. Und sein Umschwenken in Sachen Rumänen und Bulgaren erklärt er auch hier nicht. "Bleibt euch selber treu", ruft Blocher stattdessen den Vorderthalern zu.

Den Satz würde auch Judith Uebersax unterschreiben, sie sagt es allerdings so: "Die SVP muss kämpfen, nicht jammern." Sie vergisst dabei möglicherweise nur, dass ein Milliardär wie Blocher, auch wenn er den Konzern seinen Kindern überschrieben hat, vielleicht andere Ziele verfolgt als sie, eine Mutter von drei Halbwüchsigen in der Innerschweiz. Schließlich hat Blocher selbst vor kurzem gesagt: "Lasst euch nicht einnebeln: Jeder hat seine Interessen."

© SZ vom 05.08.2008/pir/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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