Schweden:Der Lindh-Attentäter wartet auf sein Urteil

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War es die vorsätzliche Tat eines voll zurechnungsfähigen Menschen oder folgte der Angeklagte Mijailo Mijailovic willkürlich einem inneren Zwang, als er die schwedische Außenministerin Anna Lindh im September 2003 niederstach? Darüber muss in Stockholm heute ein Gericht entscheiden.

Ihre brutale Ermordung vor mehr als einem halben Jahr war ein Schock für ganz Schweden. Am Dienstag nun soll das Urteil gegen den Mann gesprochen werden, der am 10. September 2003 die schwedische Außenministerin Anna Lindh niedergestochen hat. Gestanden hat der 25-jährige Mijailo Mijailovic die Tat bereits im Januar. Dem Gericht bleibt die Entscheidung über das Strafmaß: Tötete der Sohn serbischer Eltern vorsätzlich und gehört lebenslänglich hinter Gitter? Der Angeklagte und sein Anwalt Peter Althin sehen die Tat in anderem Licht: Sie sei der willkürliche Akt eines geistig gestörten Mannes, der kaum zurechnungsfähig sei. "Ich bin ein Geisteskranker", soll Mijailovic Berichten zufolge einmal über sich selbst gesagt haben.

Ein psychiatrisches Gutachten, das vom Gericht in Auftrag gegeben war, stellte bei Mijailovic jedoch keine schwerwiegende psychische Störung fest. Er ist demnach voll schuldfähig. Den Antrag der Verteidigung auf ein neues psychiatrisches Gutachten lehnten die Richter vergangene Woche ab. Mijailovic beharrte im Prozess darauf, er habe an jenem 10. September im vornehmen Kaufhaus NK wie unter Zwang gehandelt.

Der Befehl der "inneren Stimme"

Eine "innere Stimme" habe ihm befohlen, auf die 46-jährige Außenministerin einzustechen. "Ich glaube, es war Jesus, der mich erwählt hat." Nach der Schildergung von Lindhs Freundin, die die Ministerin bei ihrem Einkaufsbummel begleitet hatte, stach Mijailovic besonders brutal zu. Lindh starb einen Tag nach dem Angriff an ihren schweren Verletzungen.

Zwei Wochen nach der Tat nahm die Polizei Mijailovic fest, den die Kaufhauskameras gefilmt hatten. Ein politisches Motiv weist der 25-Jährige von sich. Schwedische Medien berichteten jedoch von Bekannten des Angeklagten, die vom "regelrechten Hass" Mijailovics auf die Außenministerin gesprochen hatten, weil sie die NATO-Luftangriffe auf Serbien 1999 gutgeheißen hatte.

Der Angeklagte verwies im Prozess stets auf seine Biografie, um Erklärungen für die in ihrer Brutalität schwer begreifliche Tat zu liefern. Eine schwierige Kindheit, Aggressionen und Einsamkeit prägten demnach sein Leben. In Schweden geboren, schickte ihn die Familie als Sechsjährigen zu seinen Großeltern in ein serbisches Dorf nahe Belgrad. Mit 13 musste er jedoch wieder zurück. Die schwedische Sprache hatte er da fast verlernt und mit der Integration in die Gesellschaft tat er sich schwer.

Langes Strafregister Mijailovics

Mit Gewalt und Drogenkonsum suchte der Jugendliche seinen Frust zu kompensieren. Als 17-Jähriger griff er seinen Vater, selbst ein zu Gewalt neigender Alkoholiker, mit einem Küchenmesser an. Die Verurteilung war eine von vielen. Die schwedische Justiz führt ein langes Strafregister gegen Mijailovic, darunter illegaler Waffenbesitz und Todesdrohungen. Messer faszinierten den jungen Mann offenbar seit seiner Kindheit im ehemaligen Jugoslawien. Seine Schulhefte sollen voller Messer-Zeichnungen gewesen sein, berichteten ehemalige Mitschüler.

Mijailovic soll es schwer gefallen sein, Freundschaften aufzubauen. Er litt offenbar darunter, bei Frauen keinen Erfolg zu haben. Seit 1999 habe er keine Verabredung mehr gehabt, sagte er dem Taxifahrer Norretin Kanat, der als Zeuge im Prozess ausgesagt hatte. Mijailovic hatte nach der Tat Kanats Taxi bestiegen und sich nach Hause fahren lassen. Reue oder Mitgefühl hat Mijailovic nie geäußert. Die Meldung vom Tod der beliebtesten Politikerin Schwedens habe ihn allerdings "sehr geplagt", bekannte er.

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