Schulunterricht in Russland:Kinder auf Kreml-Linie

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Neue Handbücher für Geschichts- und Sozialkundelehrer an russischen Schulen sollen das Geschichtsbild von Schülern verändern. Geschrieben wurden sie nicht von profilierten Historikern, sondern von Beratern des Kremls.

Christoph Gröner

Nationalisten und Scharfmacher sind auf dem Weg zu mehr Einflussnahme auf russische Schüler. Nach Medienberichten aus den USA und Russland sollen Schulbücher künftig ein Geschichtsbild verbreiten, das stärker der Staatslinie folgt als bisher. Auch in postsowjetischen Zeiten ist Geschichtsvermittlung in Russland ein heißes Eisen - ein Schulbuch mit besonders kritischen Informationen über Stalin wurde 2003 aus dem Schulunterricht entfernt. Der jetzige Vorstoß bringt aber insbesondere auch das Verständnis der aktuellen Politik auf stramm offiziellen Kurs.

Glorreiche Vergangenheit, glorreiche Zukunft: Die Geschichte Russlands und der Ära Putin soll an den Schulen neu vermittelt werden. (Foto: Foto: AFP)

So enthalten zwei neue Handbücher für Geschichts- und Sozialkundelehrer, die im Juni auf einer Lehrerkonferenz in Moskau vorgestellt wurden, viel Lobendes über die aktuelle Politik und den Präsidenten. Im Geschichtsleitfaden heißt es im letzten Kapitel über die Ära Putin: "Wir sehen, das praktisch jede wichtige Tat in Russland mit dem Namen und der Aktivität von Präsident Putin verbunden ist." Und weiter: An Putin, der auf den kranken Boris Jelzin folgte, zeige sich, wie groß die Stärke eines Präsidenten sein könne, wenn eine gesunde und dynamische Person diese Position einnehme.

Die Bücher seien von extremer Amerikafeindlichkeit geprägt, schreibt die Washington Post. Beide Handbücher lehnen sich an die offizielle Lesart der russischen Politik an: Putin hat demnach die russische Stärke wieder hergestellt und trotz der Torpedierungsversuche vor allem von Seiten der USA eine "souveräne Demokratie" aufgebaut, die keinem Diktat von außen folge.

Der Begriff, von dem Kreml-Strategen Wladislav Surkow geprägt, steht auch über dem letzten Kapitel des Buches. Wo die offiziellen Befürworter die Häufung von Macht beim Präsidenten als essentiell für einen russischen Staat ansehen, halten Kritiker den Begriff für einen reinen Euphemismus, der die Entmachtung von Parlament, Justiz und Medien verschleiern soll. Von einer "gelenkten Demokratie" wissen die Leitfäden nichts, sollen dafür ein verblüffend undifferenziertes Geschichtsbild verbreiten. Stalin war demnach zwar brutal, aber auch der erfolgreichste Führer der Sowjetunion. Und über die Orange Revolution 2004 in der Ukraine heißt es, sie wäre teils von den USA gesteuert worden. Die Unterstützer des pro-russischen Viktor Janukowitsch wären damals um ihren Sieg gebracht worden.

In dem Sozialkunde-Leitfaden wird die Kritik an den USA noch deutlicher, schreibt die Washington Post. Die USA hätten seit den neunziger Jahren versucht, ein globales Reich zu verwirklichen. Doch das Land könnte dem Kollaps nahe sein, weil es zunehmend bei der Integration seiner vielen Ethnien versage.

Souveräne Demokratie, keine gelenkte

"Wir entwickeln eine nationale Ideologie, die unserem Blick auf unsere Nation entspricht, auf uns als Russen und die Welt um uns", sagte Leonid Polyakow, Politikprofessor und Herausgeber des Sozialkunde-Handbuchs, nach der Lehrerkonferenz auf einen von Putin initiierten Treffen. Washington Post und Moscow Times zitieren aus einer offiziellen Mitschrift: "Lehrern ist dann die Möglichkeit gegeben, diese Vision in ihre praktische Arbeit zu integrieren und sie dazu zu nutzen, um eine staatsbürgerliche und patriotische Position zu entwickeln."

Auch der Hauptautor des Geschichtshandbuchs, Alexander Fillipow, steht der russischen Regierung nahe. Er ist Vizechef eines Think-Tanks, der vom Kreml finanziert wird.

Von offizieller Stelle hieß es nach der Lehrerkonferenz beschwichtigend, die Richtlinien seien nicht verbindlich für den Unterricht, zahlreiche Änderungen würden an den Büchern vorgenommen, bevor sie fertig gestellt würden.

Der Autor des Kapitels "Souveräne Demokratie", Pawel Danilin macht mit seinen Äußerungen allerdings wenig Hoffnung für die Zukunft. Danilin, der für den gleichen Think Tank wie Fillipov arbeitet, hält zwar nur einen Bachelor-Abschluss in Geschichte und wurde für seine Darstellung bereits von namhaften russischen Historikern kritisiert. Seine Antwort auf Lehrer, die die neuen Bücher im Internet kritisierten, formulierte er in einem Blog. "Sie können sich so viel aufregen wie sie wollen. Aber sie werden die Kinder in der Art und Weise unterrichten, wie es die Bücher vorgeben und wie es Russland dient."

Beide Publikationen, jeweils mehrere hundert Seiten lang, sollen als Richtlinie für die Ausformulierung von neuen Lehrbüchern an den Schulen dienen. Im September 2008 sollen die neuen Schulbücher fertig sein.

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