Schlichtungssitzung im Kanzleramt:Auszeit um Mitternacht

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Die Verhandlungen im Kanzleramt über Emissionsrechte standen lange auf der Kippe.

Von Philip Grassmann

Am Schluss gab es sogar einen Schluck Rotwein. Bundeskanzler Gerhard Schröder holte am frühen Dienstagmorgen die Gläser aus seinem Schrank und stellte sie auf den Tisch in seinem Arbeitszimmer, an dem zuvor fünf Stunden lang bei Wasser und Espresso hart um den Klimaschutz im Allgemeinen und um den Koalitionsfrieden im Besonderen gerungen worden war.

Dabei hatte es nicht immer danach ausgesehen, dass sich die Krisenrunde, an der neben Schröder, den Kontrahenten Wolfgang Clement und Jürgen Trittin auch Joschka Fischer und Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier teilgenommen hatten, auf einen Kompromiss einigen würde.

Um Mitternacht, nach zweieinhalb Stunden, waren sich beide Seiten noch nicht einen Zentimeter näher gekommen.

Grüner Rückzug

Fischer und Trittin nahmen daraufhin eine Auszeit und zogen sich in das Büro der Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf am entgegengesetzten Ende des Kanzleramtes zurück. Die Angebote, welche die SPD-Seite bis dahin gemacht hatte, waren für sie nicht akzeptabel.

"Die Gespräche standen da auf der Kippe", hieß es in Regierungskreisen. In dem Zimmer im siebten Stock mit Blick auf den nächtlichen Kanzlerpark und die Spree berieten die beiden Spitzengrünen dann über einen neuen Vorschlag, stimmten sich per Handy mit Parteichef Reinhard Bütikofer ab und gingen um ein Uhr nachts über den langen Flur wieder hinüber ins Arbeitszimmer des Kanzlers.

Dort folgte dann ein erneutes Gefeilsche über CO2-Tonnagen, Sondertöpfe und Minderungsziele, über Investitionen, Konkurrenzfähigkeit und Wachstum, bis der drohende Koalitionskrach um 2.30 Uhr schließlich endgültig abgewendet werden konnte.

Clement und Trittin fuhren anschließend gemeinsam im Fahrstuhl in die Lobby, um die spärliche Schar von Journalisten über das Ergebnis des harten Ringens zu unterrichten.

Bei dem Streit der beiden Minister ging es um die Einhaltung des Klimaschutzziels, zu dem sich die Europäische Union bis zum Jahr 2012 verpflichtet hat.

Deutschland muss bis dahin seine klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen um 21 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Geschafft sind derzeit aber erst 18 Prozent. Von 2005 an soll der EU-weite Emissionshandel dazu beitragen, die Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes möglichst kostengünstig zu gestalten.

Jede der in Deutschland beteiligten 2400 Fabriken und Kraftwerke darf dann nur noch so viele Abgase ausstoßen, wie zuvor in einem Berechtigungsschein zugeteilt wurden. Stößt ein Unternehmen weniger Emissionen aus, kann es die überschüssigen Abgasrechte verkaufen und damit Geld machen. Betriebe, die mehr als die ihnen zugestandenen Abgase in die Luft blasen, müssen dagegen Rechte hinzukaufen.

In der nächtlichen Verhandlungsrunde hat Wirtschaftsminister Clement erreicht, dass die Industrie sich in den kommenden Jahren weit weniger anstrengen muss, um ihre Emissionen zu reduzieren, als Trittin dies gewünscht hatte.

Sie muss ihren Ausstoß nur um 10 Millionen Tonnen mindern, Trittin hatte 25 Millionen gefordert. Stahlkocher, sowie die Glas-, Zement- und Keramikindustrie müssen überhaupt keine Reduzierungen erbringen.

Trittin kann für sich verbuchen, dass überhaupt ein Minderungsziel für 2012 festgelegt wurde. Außerdem setzte er eine Regelung durch, die es für die Energiekonzerne attraktiv macht, alte Kraftwerke mit geringer Effizienz und hohem Abgasausstoß durch moderne, klimafreundlichere Anlagen zu ersetzen.

Die eingesparten Emissionsrechte darf das Unternehmen behalten und weiterverkaufen. Trittin hofft, dass die Industrie die Vorteile dieses Systems erkennt und in den nächsten Jahren sogar noch mehr Emissionen einspart als vorgeschrieben.

© SZ vom 31.3. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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