Schlankheitswahn:Vorsicht, Skalpell!

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Eine Psychologin entscheidet, wer im US-Fernsehen bei den beliebten Schönheits-OP-Shows mitmachen darf. Die Sendung soll bald nach Deutschland kommen.

Von VIOLA SCHENZ

Die Hofdamen des Rokoko schnürten sich die Taille ein, bis sie nach Luft japsten. Amerikaner des 18. Jahrhunderts rieben sich den Urin junger Buben gegen lästige Sommersprossen auf Gesicht und Arme. Viktorianische Adlige ließen sich die unterste Rippe entfernen, um schlanker auszusehen. Der Wunsch, schön zu sein, oder besser: dem jeweils herrschenden Schönheitsideal zu entsprechen, ist alt.

Heute, im Zeitalter von Botox und Fettabsaugern, kommen zwei neue Faktoren dazu: ein Massenmarkt dank sinkender Preise, sowie das Massenmedium Fernsehen. Beim US-Sender ABC kann man jeden Mittwochabend bei Extreme Makeover mit wohlig-neugierigem Gruseln beobachten, wie sich zwei Kandidaten vor laufenden Kameras und auf Kosten des Fernseh-Networks die Nase gerade biegen, die Tränensäcke aufritzen und das Taillenfett absaugen lassen.

Die Skalpell-Shows sind für die Sender riskant

Konkurrent Fox hält seit diesem Frühjahr mit The Swan (Der Schwan) dagegen, einer Show, die im Herbst nach Deutschland kommen soll. Der Erfolg des Genres ist gigantisch: Mehr als 10000 Amerikaner haben sich für die zweite Staffel von Extreme Makeover beworben. Viele tendieren zur Fettleibigkeit und erhoffen sich Linderung. Doch die Skalpell-Shows sind für die Sender durchaus riskant: Wer möchte schon jemanden in der Show haben, der sich nach erfolgter Schönheitsoperation alles andere als schön findet - und vielleicht ausrastet?

Deswegen arbeiten die Macher von Extreme Makeover mit Catherine Selden zusammen. Die Französin lebt seit 15 Jahren in Beverly Hills und führt eine Praxis für klinische und forensische Psychologie. Die Film- und Schönheitsindustrie in und um Los Angeles haben ihr ein neues Aufgabenfeld erschlossen: Selden testet die Tauglichkeit der Show-Bewerber - es ist die vorletzte Stufe eines langwierigen Ausleseverfahrens.

"Ich prüfe, ob die Kandidaten von stabiler geistiger Verfassung sind und widerstandsfähig gegen Stress, ob sie realistische Erwartungen haben." Daher klärt die 44-Jährige die Aspiranten über alle möglichen Gefahren auf - schließlich will man im Amerika der vielen Schadenersatzklagen Prozesse wegen "Psycho-Stress" vermeiden.

Extreme Makeover ist nicht die erste Reality-Show, die Catherine Selden mitbetreut. Sie war schon bei Big Brother und Survivor dabei. Während Survivor-Teilnehmer höchstens Schrammen davontrugen, weil sie durchs Unterholz robben mussten, wachen die Beauty-Kandidaten frisch vernarbt und verbunden aus der Vollnarkose auf. Dann schlägt die Stunde von Catherine Selden: "Die meisten verfallen dann erst mal in eine Depression. Ich halte psychologisch Händchen."

Die meisten verfallen nach der Schönheits-OP in Depressionen

Kann eine solche Arbeit befriedigen? "Wir hatten mal einen Kandidaten, der mit seinem Aussehen so unzufrieden und in Gesellschaft so unsicher war, dass er nicht mal aufs College gehen wollte. Wenn wir so jemandem helfen, Selbstvertrauen zu erlangen, und dafür sorgen, dass er auf seine Umwelt positiv reagiert - und die Umwelt auf ihn -, was soll daran falsch sein?", meint Selden.

Zwei Tage dauern die Tauglichkeitstests. Gibt es am Ende Zweifel an der Eignung eines Bewerbers, befragt die Psychologin Familienmitglieder oder Freunde des Kandidaten. "Ein Telefonat mit dem Ehemann reicht oft, um festzustellen, dass er es ist, der mit ihrem Aussehen nicht zufrieden ist. Solche Bewerber nehme ich nicht, denen empfehle ich einen Eheberater." Andere leiden vielleicht an Persönlichkeitsstörungen oder sind unzufrieden mit sich und ihrem Leben.

"Denen tun wir mit aufgespritzten Lippen keinen Gefallen, die sind dann immer noch unglücklich." 30 bis 40 Prozent der Bewerber fallen bei Selden durch. Wer an den körperlichen Folgen von Essstörungen leidet, wird ebenso wenig genommen wie Leute, die ethnische oder rassische Merkmale loswerden möchten. Selden: "Afro-Amerikaner, die ihre Nasen zu breit finden, werden schon vorher aussortiert. Für Identitätsfragen sind wir nicht Zuständig." Sorry, Michael Jackson.

© SZ vom 2.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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