Saudi-Arabien:Angriff auf das "Nervenzentrum"

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Der Terror von Al-Qaida-Zellen in Saudi-Arabien hat eine neue Qualität bekommen: Ziel des Anschlags in Riad waren erstmals nicht Ausländer, sondern das saudische Regime.

Von Heiko Flottau

(SZ vom 23.4.2004) - Sie nennen sich Haramain-Brigaden, und das allein ist eine brisante Aussage. Haram heißt "heiliger Ort", Haramain ist eine Anspielung auf die beiden heiligsten Orte des Islam, die Moscheen in Mekka und Medina. Wie viele andere vorher unbekannte Terrorgruppen sind auch die saudischen Haramain-Brigaden plötzlich aus dem Dunkel herausgetreten. Sie erklärten sich verantwortlich für den Anschlag auf das Hauptquartier der saudischen Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt Riad am Mittwoch.

Unterlagen über Al-Qaida-Gruppen zerstört

Experten, welche die Anschläge der Terroristen in Saudi Arabien genau verfolgen, sprechen von einer bedeutsamen Entwicklung. Bisher hätten die Angriffe saudischer Al-Qaida-Zellen, zu denen die Haramain-Brigaden gerechnet werden, ausländischen Zielen gegolten, zum Beispiel Wohnblocks, in denen Amerikaner und Europäer lebten.

Beim Anschlag vom Mittwoch sei erstmals ein Zentrum des saudischen Regimes zum Ziel genommen wurden, nämlich das zum Innenministerium gehörende Hauptquartier der saudischen Sicherheitsbehörden. Die Explosion wurde durch einen Selbstmordattentäter ausgelöst, der in einem mit Sprengstoff beladenen Auto vorbeifuhr. Die Explosion tötete vier Menschen und zerstörte große Teile des Gebäudes, in welchem vermutlich viele Unterlagen über saudische Al-Qaida-Gruppen aufbewahrt werden.

Täglicher Kleinkrieg

Der Anschlag kam zu einer Zeit, in welcher - von der Außenwelt oft unbemerkt - ein fast täglicher Kleinkrieg zwischen den saudischen Sicherheitskräften und Anhängern des weit geflochtenen Al-Qaida-Netzwerks tobt. Viele der Terroristen sind getötet worden. Unter ihnen ist Khaled Ali al-Hadsch, der für den Anschlag auf ein Wohnviertel Riads im vergangenen November verantwortlich gemacht wird.

Sein mutmaßlicher Nachfolger, Abdel Asis al-Muqrin, erschien Anfang April vermummt auf einem Videoband mit der Forderung, alle "Polytheisten" von der Arabischen Halbinsel zu vertreiben. Unter Polytheisten verstehen Anhänger der saudischen Variante des Islam sowohl Schiiten, die zu Heiligen beten, als auch Christen, welche an die Dreieinigkeit Gottes glauben. Fachleute vermuten, dass der neue saudische Al-Qaida-Chef Asis al-Murqin auch hinter dem jüngsten Anschlag von Riad steht.

Regime ohne durchschlagenden Erfolg

Nach einem Bericht des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira hat der in London lebende saudische Dissident Mohammed al-Massari das Attentat von Riad als "Quantum-Schritt" von al-Qaida bezeichnet. Ein anderer in London wohnender Dissident, Saad al-Fagih, begründete diese Einschätzung mit der Tatsache, dass die Bombe dem "Nervenzentrum" des saudischen Regimes gegolten habe. Die Explosion komme nach Jahren einer intensiven saudischen Kampagne gegen die Guerillakämpfer. Die Attacke gegen das Innenministerium zeige aber, dass der Feldzug des Regimes in Riad gegen al-Qaida keinen durchschlagenden Erfolg gezeitigt habe. Mohammed al-Massari sagte, das saudische Regime stecke "in großen Schwierigkeiten". Al-Massari fügte hinzu, nur Gott wisse, "wie das alles enden" werde.

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