Sahel-Region:Nächstes Afghanistan

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Wenn Europa jetzt nicht mehr tut, wird sich das bitter rächen.

Von Anna Reuß

Lange mochte die Welt nicht richtig hinsehen.

Wenn am Montag die EU-Innenminister in Malta über die Verteilung von Flüchtlingen beraten, bahnt sich weiter südlich längst die nächste Katastrophe an. Es herrscht Chaos in der Sahelregion - dem kargen Streifen am Rand der Sahara. In Mali und Burkina Faso hat der Staat die Kontrolle über Teile des Landes verloren, 2018 zählte die Region fast eine halbe Million Binnenvertriebene - und wer kann, kommt nach Europa. Dass die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas für den Kampf gegen den Terrorismus nun eine Milliarde Dollar frei macht, ist eine Selbstschutzmaßnahme: Die Terroristen breiten sich seit Jahren scheinbar ungehindert aus und reißen auch bislang stabile Staaten mit in den Sog. Andere, wie etwa Senegal, die noch kein großes Sicherheitsproblem haben, fürchten, dass ihre porösen Grenzen zu Mali ihnen bald eines bescheren.

Im Auswärtigen Amt in Berlin und seinem Pariser Pendant am Quai d'Orsay ist angekommen, dass der Sahel Hilfe braucht. Auch die Kanzlerin erklärte, dass der Kampf gegen den Terrorismus in Europas Verantwortung liege. Alleine in den vergangenen drei Jahren war Angela Merkel acht Mal in der Region. Die EU, angeführt von Frankreich und Deutschland, hat einiges in die Stabilität investiert. Bislang brachte dies allerdings kaum etwas. Vieles wurde angestoßen, aber nicht zu Ende gedacht und gebracht.

Die Bemühungen sind durchaus beeindruckend. Die deutsch-französische "Sahel-Initiative" sieht vor, Mali, Burkina Faso und Niger zu stärken und die Armeen besser auszurüsten. Das ist nötig, greift aber zu kurz: Der Ansatz geht über militärisches Engagement kaum hinaus und berücksichtigt anderes zu wenig, etwa, dass die Staaten politisch unbeständig sind und seit der Unabhängigkeit zusammen 20 Militärputsche erlebten oder dass fast keine Weltregion vom Klimawandel so hart getroffen wird wie der Sahel, wo 80 Prozent der Menschen von weniger als zwei Euro am Tag leben. Die EU sollte darauf hinarbeiten, deren Lebensbedingungen zu verbessern und Zugang zu Wasser und Weideflächen zu sichern.

Europa macht in Mali und anderen afrikanischen Ländern gefährliche Fehler

Der Terrorismus lähmt diese Staaten. Merkel hat also durchaus recht: Entwicklung ohne Sicherheit ist unmöglich. Allerdings wird die Sicherheitslage in Mali, dem Zentrum der Krise, immer schlechter, weil die Machtstrukturen nicht einbezogen werden. Das Friedensabkommen von Algier sah in Nordmali eine Einbindung der lokalen Eliten in staatliche Institutionen vor. Stattdessen wurden wichtige Akteure isoliert, sodass sich ethnische Konflikte zur gewaltigen Sicherheitsbedrohung entwickelten. Mali ist dem Staatszerfall nahe und Refugium für Islamisten aus ganz Westafrika.

Noch findet dieser Konflikt in einem toten Winkel der Welt statt. Doch schon jetzt macht Mali als nächstes Afghanistan von sich reden: Die Gesellschaft ist erschöpft von gefühlt endlosen Militäreinsätzen, die unpopuläre Regierungen stützen sollen. Das ist gefährlich. Die folgenlose Intervention der Europäer wird von den Menschen als Imperialismus, die Franzosen werden wieder als Kolonialherren wahrgenommen. Kehrt die EU diese Dynamik nicht um, geraten in der Sahelzone mehr Regierungen ins Taumeln, und die Ideologien der Extremisten findet ihren Weg in die Köpfe der Verzweifelten.

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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