Sachsen:Zwei Stimmen, die deprimieren

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Hilflosigkeit herrscht angesichts der zwei Stimmen zu viel, die NPD-Mann Leichsenring erhielt. Für Ministerpräsident Georg Milbradt ist es eine bleibende Demütigung. Von Jens Schneider

Den Kopf hat er tief vornüber gebeugt und den Blick nach unten gerichtet, als ginge ihn der Aufruhr um ihn herum überhaupt nichts an. Wie zurückgezogen in einer anderen Welt sitzt Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt an diesem Vormittag auf seinem Abgeordneten-Platz im Dresdner Landtag.

Es gibt im Leben eines Politikers Momente, da ist es besser, sich hinter einer Art unsichtbarem Vorhang zu verbergen, weil sie es sonst nicht aushalten können. Aber Sachsens CDU-Chef kann sich in diesem Augenblick gar nicht weit genug in seine Pressemappe vertiefen, um nicht genau zu spüren, was ihm gerade widerfährt.

Rund um ihn streiten sich gerade die Sprecher von PDS, Grünen und FDP mit der CDU über die Geschäftsordnung für den zweiten Anlauf der Wahl des Ministerpräsidenten.

Im ersten Wahlgang hat es für Milbradt nicht zur absoluten Mehrheit gereicht. Nur 62 Abgeordnete stimmten für ihn, mindestens 63 hätten es sein müssen.

Über 68 Stimmen verfügen seine CDU und der Koalitionspartner SPD. Eine CDU-Abgeordnete fehlt wegen Krankheit, aber dennoch haben fünf Koalitionäre ihm die Stimme versagt. Bleich und sprachlos hat Milbradt das aufgenommen, sich mit seiner Fraktion zurückgezogen.

Bevor es in den zweiten Wahlgang gehen sollte, wurde CDU-Fraktionschef Fritz Hähle dort laut. Noch mal dürfe das nicht passieren. Er selbst hatte am Tag vor der Wahl gesagt, dass die Koalition sich lächerlich machen würde, sollte Milbradt nicht die Mehrheit im ersten Wahlgang erhalten.

"So was ist Absicht"

In den Gängen spekulieren die Beobachter. Wenn da einige Parteifreunde Milbradts nur mal ihrem Frust über seinen Führungsstil und die Wahlniederlage Luft machen wollten, dann müsste es ja im zweiten Wahlgang besser werden.

Jetzt wüssten doch alle, dass es um die Reputation ihres Spitzenmanns geht. Als kurz nach zwölf Uhr das Ergebnis des zweiten Wahlgangs verkündet wird, gibt es nur unsicheren Beifall.

Wieder hat Milbradt nur 62 Stimmen erhalten und wieder hat sein Gegenkandidat Uwe Leichsenring von der rechtsextremen NPD 14 bekommen - zwei mehr, als die Partei Abgeordnete hat.

Die 62 Stimmen reichen im zweiten Wahlgang. Milbradt wird wenig später als Regierungschef vereidigt. Aber es ist eine bleibende Demütigung. "Zwei mal, so was ist Absicht", sagt ein enger Vertrauter.

Später wird Milbradt eingestehen, dass er zwischendrin einmal nachgedacht habe, ob er die Wahl annehmen solle. Ansonsten versteckt er seine Verletztheit hinter Robotersätzen, die er mit dünner, zuweilen zittriger Stimme vorträgt.

Während die Sozialdemokraten versichern, geschlossen für den CDU-Mann Milbradt gestimmt zu haben, will selbst CDU-Fraktionschef Hähle nicht für all seine Abgeordneten die Hand ins Feuer legen.

Hilflosigkeit herrscht angesichts der zwei Stimmen zu viel, die NPD-Mann Leichsenring erhielt. Vor allem CDU-, aber auch SPD-Abgeordnete äußern den Verdacht, dass es zwei von der PDS gewesen seien. Die PDS erklärt das sofort für völlig ausgeschlossen.

© SZ vom 12.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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