Rutelli & Fassino:Der Schönling und das Hirn

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Wie das ungleiche Duo Rutelli und Fassino versucht, gegen Berlusconi einen Wahlsieg für Italiens Linke zu erringen

Christiane Kohl

(SZ vom 24. April 2001) - Mit spitzen Fingern hält Francesco Rutelli das Mikrofon, fast wirkt der elegant gekleidete Mann wie ein Conferencier. Sein frisches Gesicht mit dem graumeliert gekrausten Römerhaar sendet ein jungenhaftes Lächeln in den Saal - schon haben die blauen Augen ihr Publikum erspäht.

Ein ungleiches Duo: Piero Fassino (l.)und Francesco Rutelli (Foto: N/A)

Vorn auf den knarrenden Holzbänken in dem ehrwürdigen Konferenzsaal der Turiner Handelskammer sind die Honoratioren platziert. Über die weißen Schnurrbärte, die blauen Jacketts und die Goldrandbrillen schaut der Kandidat nonchalant hinweg.

Ab Reihe vier wird es bunter im Saal, hier sitzen die Frauen, und sie sind Rutellis Klientel. "Wie beeindruckend, diese starke weibliche Präsenz im Saal," entfährt es dem Römer gekonnt charmant. "Die haben extra ihre Geschäfte geschlossen, um hier zu sein", erklärt der Handelskammerpräsident und grinst den anderen Politiker auf dem Podium an, der als graue Mausgestalt zusammengesunken neben Rutelli sitzt: "Für Piero Fassino hätten sie das wohl nicht getan."

Entspannte Heiterkeit im Saal, Rutelli hat wieder mal eine Hürde genommen. Vor den traditionell eher konservativen Turiner Kaufleuten leitet der Linkskandidat jetzt mühelos zu den Sachthemen über, die sein mausgrauer Partner später noch genauer erläutern wird: Es geht um Sicherheit und Kriminalität, da kennt sich Justizminister Fassino besonders gut aus.

Drei Wochen auf Tour

Knapp drei Wochen lang werden der gebürtige Turiner Fassino und der Römer Rutelli noch durch Italien touren. Die beiden versuchen, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen und bei den nationalen Parlamentswahlen am 13. Mai dem Mitte- Links-Bündnis doch noch zum Sieg zu verhelfen.

Rutelli kämpft um den Posten des Premierministers und Fassino will sein Vize werden. Das ungleiche Duo hat bei den wortgewandten Italienern auch schon einen Namen: "Il piaccione e il cervello" - der Schönling und das Hirn.

Noch vor zwei Monaten hätte wohl kein ernsthafter Wahlstratege auch nur eine Lira darauf verwettet, dass die Linke überhaupt noch einmal eine Chance haben könnte. Bis zur politischen Leichenstarre zerstritten wurstelte die regierende Mitte-Links-Koalition seit dem Sturz von Romano Prodi im Herbst 1998 vor sich hin.

Enttäuscht über das hilflose Hickhack der Nachfolgeregierungen wandten sich die Wähler von dem einst erfolgreichen Olivenbaum-Bündnis ab, in den Umfragen legte Oppositionsführer Silvio Berlusconi jede Woche zu.

Als sich der römische Bürgermeister Francesco Rutelli im vergangenen Spätsommer um die Kandidatur im Mitte-Links-Lager bewarb, trat ihm deshalb auch kein ernsthafter Gegenkandidat in den Weg. Allzu hoffnungslos schien die Mission, Berlusconi lag bereits um mehr als 15 Prozentpunkte vorn.

Doch Rutelli hat es bisher stets verstanden, auf die Gewinnerseite zu rudern und er ist ein unverbesserlicher Optimist. Nach einem abgebrochenen Architekturstudium machte er schon früh Politik, zunächst bei der Radikalen Partei.

Später wechselte er zu den Grünen und wurde 1993 nach einem harten Wahlkampf 39-jährig römischer Bürgermeister. Er gründete mit anderen Stadtoberhäuptern die Partei der Bürgermeister und wechselte schließlich zu der von Romano Prodi ins Leben gerufenen Partei der Demokraten.

Vorigen Samstag nun stand Rutelli, mittlerweile 46, vor rund 50.000 Zuschauern auf der römischen Piazza del Popolo. Wieder hielt er das Mikrofon mit spitzen Fingern wie ein Conferencier, sandte ein jungenhaftes Lächeln über die roten und grünen Fahnen auf der Piazza und gab die personifizierte Zuversicht. "Wir gewinnen, wir werden gewinnen", rief er den Leuten mehr als einmal zu. In der Tageszeitung La Stampa vermerkte ein Kommentator anderentags verwundert: "Der ist wirklich überzeugt von seinem Sieg".

Als "kleiner Clinton" sieht sich Rutelli gern. Auf den hoffnungsvoll blau gestilten Plakaten kräuselt er die Oberlippe gekonnt zu einem spitzbübischen Lächeln, das haben seine PR-Berater wohl vom großen amerikanischen Vorbild abgeguckt.

Rutellis Wahlkampfbudget ist nach Zeitungsberichten siebenmal kleiner als jene astronomischen Summen, die seinem Herausforderer Berlusconi zur Verfügung stehen sollen. Doch der Römer hat keine Scheu vor Menschen, er geht unter die Leute und plaudert gern - das scheint sein größter Trumpf gegenüber dem Medienunternehmer zu sein, der eher einseitig über Pressekonferenzen und Videoaufzeichnungen mit dem Volk kommuniziert.

Ein Kuss für die Damen

"Francesco", rufen sie in dem Turiner Altstadtviertel Borgo Dora, als der Kandidat mit der üblichen einstündigen Verspätung herangebraust kommt. "Einen Kuss?" strahlt Rutelli die Wartenden an - schon liegen zumindest die Damen in seinen Armen.

Im Borgo Doro ist das Terrain eher schwierig für den Römer. Das einstige Handwerkerviertel am Ufer der Dora, das sich rund um das historische Arsenal der Savoyer gruppiert, ist mittlerweile ein Auffanglager für illegale Zuwanderer geworden.

Zwischen die hübschen, gelbgetünchten Handwerkerhäuser mit den dunkelgrünen Sonnensegeln haben sich hässliche Nachkriegsbauten geschoben, auf der Piazza liegt Unrat neben dem lila blühenden Glyzinienbaum.

Bei Dino in der Bar gehören die älteren Männer nicht zu Rutellis Fanclub. "Ein honoriger Politiker ist er schon", meint Dino. "Aber schauen Sie sich mal gegenüber die Tabaccheria näher an". Der Tabakladen hat eine Abendkonzession, deshalb sammeln sich dort am Nachmittag die arbeitslosen Zuwanderer.

"Die pinkeln hier auf die Piazza, handeln mit Drogen und werfen ihre Spritzen in die Gegend." Morgens auf dem Markt werde Hehlerware verkauft, geklaute Uhren, Handys und Lederprodukte. "Nicht mal im Libanon, wo es zeitweise gar keine Polizisten gab, war es schlimmer", sagt Franco, ein libanesischer Kaufmann, der in Turin eine Wechselstube betreibt.

Im Boccia-Club des Viertels erläutert Rutelli später zwischen Vereinswimpeln und silbrig glänzenden Pokalen sein Sicherheitskonzept: Mehr Geld für die Ordnungskräfte, schnellere Gerichtsbarkeit, eine bessere Beleuchtung in den Städten sowie eine gezielte Zuwanderungspolitik, bei der auch der Arbeitsmarkt berücksichtigt werden solle.

Rutelli erwähnt auch, dass es Berlusconi war, der während seiner kurzen Regierungsphase 1994 per Regierungsdekret 2500 Delinquenten freigelassen habe. Dann lässt er sich den blauweißen Vereinspullover überstülpen und wirft ein paar Boccia-Kugeln mit den Vereinsmatadoren. Das schafft Sympathie, so richtig überzeugt aber scheinen die Zuhörer nicht.

Wo Rutelli zuweilen etwas leichtgewichtig wirkt, greift sein Partner Fassino ein. Der 52-jährige Turiner ist studierter Politologe und gilt als exzellenter Analytiker. In der Regierung Prodi arbeitete Fassino als Staatssekretär im Außenamt, 1998 wurde er Minister für Außenhandel und 2000 schließlich Justizminister.

Einst war Fassino Sekretär der Kommunistischen Partei in Turin, auf seiner ersten Hochzeitsreise soll er noch nachts "Das Kapital" gelesen haben. Jetzt liebt der schlacksige Woody-Allen-Typ amerikanische Musicals.

Fassino pflegt beste Kontakte mit Industriellen wie dem Fiat-Doyen Gianni Agnelli und Pirelli-Chef Tronchetti Provera - er ist ein italienischer Genosse der Bosse. Überdies soll der allseits beliebte Fassino im Norden Italiens Stimmen ziehen, wo Berlusconis Forza Italia und die Lega Nord besonders stark vertreten sind.

Zusammen mit Rutelli hat Fassino in den vergangenen Wochen viele Mühen darauf verwandt, mit den sieben Parteien, die das Ölbaum-Bündnis stützen, ein gemeinsames Programm auszuhandeln. Da stehen Steuererleichterungen und Reformen im Gesundheitssystem obenan, wichtige Punkte sind auch die Umweltpolitik, Anreize zur Stärkung des Mittelstandes sowie eine Erhöhung der Mindestrente.

Linker wieder einstimmig

Doch der eigentliche Erfolg liegt in dem Programm an sich. Die notorisch zerstrittenen Links-Parteien, deren Bandbreite von den einstigen Kommunisten (die sich zu Linksdemokraten wandelten) bis zu verschiedenen Splittergruppen der ehemaligen Democrazia Cristiana reicht, sprechen erstmals seit langer Zeit wieder mit einer Stimme.

Je näher der Wahltag rückt, um so mehr scheint Rutelli aufs Mannschaftsspiel zu setzen. Auf der Piazza del Popolo in Rom legte sich jetzt selbst der noch amtierende Premier Giuliano Amato für den schönen Römer ins Zeug.

Der fixe Professor, der in New York genauso zu Hause ist wie in der Toskana, wird für Rutelli vor allem auf außenpolitischem Gebiet nützlich sein. Denn diesbezüglich kann Rutelli, der fließend englisch und französisch spricht, bislang eigentlich nur Anekdoten aus seiner Bürgermeisterzeit berichten. Zum Beispiel die von Bill Clinton, der ihn einst in seinem Amtszimmer besuchte. Und setzt dazu das Clinton-Lächeln auf.

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