Russland:Verrenkte Verfassung

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Eine brisante Gesetzesänderung soll Russlands Präsident Wladimir Putin eine dritte Amtszeit ermöglichen.

Von Frank Nienhuysen

Alexander Moskalez ist bisher nicht sonderlich auffällig geworden im russischen Machtbetrieb. Stellvertretender Vorsitzender des Duma-Ausschusses für Staatsaufbau ist der Mann und Mitglied der Fraktion Einheitliches Russland. Das reicht immerhin, um passabel im Schatten der Mächtigen leben zu können. Nun aber ist ihm ein origineller Dreh eingefallen, der Präsident Wladimir Putin zu einer dritten Amtszeit verhelfen könnte.

Der Kremlchef darf laut der Verfassung 2008 nicht ein weiteres Mal antreten, aber da Putin dann erst 55 Jahre alt sein wird, haben sich seine Gefolgsleute eine Menge Gedanken darüber gemacht, mit welcher List sie das Dilemma überwinden können. Putin selbst hatte vor einigen Monaten in Hannover seine Zuhörer belehrt, der Präsident dürfe lediglich nicht ein drittes Mal in Folge kandidieren, vier Jahre später allerdings sehr wohl wieder.

Dies hatte in Moskau einiges Raunen ausgelöst, und dennoch gilt dieses Szenario als fraglich. Denn ein vier Jahre dauerndes Interregnum eines schwachen Verlegenheitspräsidenten kann sich das große Russland nicht leisten. Es sei denn, Putin übernähme in dieser Zeit das Amt des Ministerpräsidenten, was einem Wagnis gleichkäme, denn die Machtfülle des Präsidenten ist immens. Eine grundlegende Verfassungsänderung hat Putin stets abgelehnt.

Moskalez aber hat nun laut einem Bericht der Internetzeitung gazeta.ru einen brisanten Verfassungszusatz ausgebrütet, der in einem Paket von Änderungsvorschlägen versteckt ist und am Mittwoch in der Duma behandelt wird.

Kein Kandidat wählbar

Falls demnach der Präsident oder auch ein Bürgermeister noch vor Ablauf der zweiten Amtszeit zurücktritt, es daraufhin eine vorgezogene Wahl gibt, diese aber ungültig ist - zum Beispiel wegen zu geringer Wahlbeteiligung -, dann soll er bei der Neuwahl antreten können.

Der Politologe Sergej Dorenko sagt, dieses Szenario sei entwickelt worden, weil der Kreml sehr unsicher sei, ob er einen vertrauenswürdigen Nachfolger für Putin findet. Die Opposition wittert seit langem schon, dass die Putin-Entourage oder die ihr nahe stehende Partei "Einiges Russland" alles daransetzen werde, Putin im Amt zu halten.

"Alle etwaigen Kandidaten für das Präsidentenamt sind schwach und einfach nicht wählbar", sagte Dmitrij Rogosin, Fraktionschef der Partei Rodina. Außerdem müssten sie bei einem anderen Staatschef womöglich um ihre eigenen Karrieren fürchten.

Auch der frühere Präsident Boris Jelzin stand Ende 1999 vor dem Problem, einen Nachfolger auszuwählen; er aber hatte keine Scheu, einen bis dahin unerfahren, unbekannten blassen jungen Mann durchzusetzen: Wladimir Putin. Dass der einmal als unverzichtbar gelten würde, hätte damals niemand gedacht.

© Süddeutsche Zeitung vom 27.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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