Russland:Tote Armee

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Sie wollen Stärke demonstrieren, offenbaren aber immer wieder ihre Schwäche. Der Zustand der russischen Streitkräfte wird immer desolater, wie der jüngste Raketenabsturz zeigt. Noch dazu ereignete sich die Panne vor den Augen Putins, der die Truppen besuchte.

Von Daniel Brössler

Ein anderer müsste wohl buhlen und werben. Wladimir Putin kann sich das sparen. Ganz Russland kennt ja bereits den überragenden Sieger der Präsidentenwahl in weniger als einem Monat: Wladimir Putin.

Aber weil auch ein gutes Ergebnis immer noch verbessert werden kann, ist sich Putin für ein wenig Imagewerbung nicht zu schade - sein Profil als starker und machtvoller Staatschef soll noch weiter geschärft werden.

Eine Waffe wie die Interkontinentalrakete vom Typ RSM-54 passt dazu ganz hervorragend. Mit einer Reichweite von knapp 8300 Kilometern und vier Nuklearsprengköpfen ist sie geeignet, jedwedem Gegner Respekt einzuflößen.

Der Oberbefehlshaber hat also Uniform angelegt und sich an die vorderste Linie, zur Barentssee, bemüht. Dort bestieg er das U-Boot Archangelsk, um Seite an Seite mit den Männern von der Marine den Abschuss zweier RSM-54-Raketen vom nahen U-Boot Nowomoskowsk aus zu überwachen.

Die Mission missglückte

Putins ganzes Reich sollten die Raketen überqueren und dann ein Ziel auf der Halbinsel Kamtschatka treffen. Allein: Die Mission missglückte. Die erste Rakete sei nach dem Start auseinander gebrochen, meldete eine Internet-Zeitung.

Andere Medien berichteten, die Starts seien von einem Sicherheitssystem gestoppt worden. Mit einiger Sicherheit kann jedenfalls angenommen werden, dass einige stolze Offiziere in Deckung gegangen sein dürften nach dem Malheur. "Es ist sehr ärgerlich, dass das vor den Augen des Oberkommandierenden passiert ist", meinte ein früherer U-Boot-Kommandant zerknirscht.

Ärgerlich, aber wohl unvermeidlich. Die Unzulänglichkeiten der russischen Streitkräfte lassen sich ohnehin nicht verbergen, schon gar nicht vor dem Präsidenten. Bereits vor Jahren hatte er eine umfangreiche Reform des Militärs angekündigt, viel geschehen ist nach Ansicht von Experten freilich nicht.

"Mehr als kritische Situation"

Selbst Generalstabschef Anatolij Kwaschnin räumte vor einiger Zeit eine "mehr als kritische Situation" ein. "Überdimensioniert, schlecht ausgerüstet, mangelhaft ausgebildet und inkompetent" - so urteilt der russische Militärexperte Pawel Felgenhauer über die Streitkräfte.

Das Groß-Manöver, in dessen Verlauf die RSM-54-Raketen hätten abgefeuert werden sollen, bezeichnet er als "sehr sowjetisch in Stil und Inhalt". Immer noch würden die USA als potenzieller Gegner betrachtet.

Die etwa 1,2 Millionen Männer in der russischen Armee dienen gründlich "an den wirklichen strategischen Erfordernissen vorbei", wie Hannes Adomeit von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin meint.

So sehr sie auch Stärke demonstrieren wollen, offenbaren die russischen Streitkräfte daher immer wieder Schwäche - etwa beim Untergang des Atom-U-Bootes Kursk, aber auch in Tschetschenien.

Einen Imageschaden durch das Raketen-Malheur muss Wladimir Putin übrigens nicht fürchten. Die großen russischen Medien berichteten lieber über Putins Besuch auf dem Weltraumbahnhof Plesetsk. Dort glückte ein Raketenstart.

© SZ vom 19.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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