Russland:"Kritiker schweben in Lebensgefahr"

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Warum sich die Menschenrechtslage in Russland zuletzt dramatisch verschlechtert hat - und was die frühere deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von Merkel bei ihrem Treffen mit Putin an diesem Dienstag fordert.

Peter Lindner

Die ehemalige deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Fraktionvorsitzende der FDP im Bundestag und gehört außerdem der Parlamentarischen Versammlung des Europarats an.

Für die in Straßburg ansässige Organisation beobachtete die Menschenrechtsexpertin zuletzt unter anderem den Prozess gegen den Yukos-Chef Michail Chodorkowski in Russland.

sueddeutsche.de: Am Samstag wurde die regierungskritische Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau erschossen. Bereits lange vorher wiesen Medienvertreter immer wieder darauf hin, dass kritische Journalisten in Russland um ihr Leben fürchten müssten. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt in Russland kaum noch Meinungsfreiheit. Mehrere Journalisten sind in den vergangenen Jahren ermordet worden. Es gibt kaum noch wirklich unabhängige Medien. Alle die, die eher kritisch sind, die unangenehme Dinge ansprechen, sind in großer Gefahr. Man versucht, sie anzuklagen und wegen eines Vorwandes zu verurteilen. Leider schweben sie auch in Lebensgefahr.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie die Menschenrechtslage im Allgemeinen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Situation der Achtung und des Schutzes der Menschenrechte hat sich in Russland in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Einmal durch Gesetzgebung, indem zum Beispiel der Handlungsspielraum von Nichtregierungs-Organisationen drastisch einschränkt wurde. Sie dürfen beispielsweise kein Geld aus dem Ausland für ihre Tätigkeit annehmen.

Und: Die Justiz ist alles andere als unabhängig. Das haben sehr viele unterschiedliche, seriöse Gutachten festgestellt. So dominiert zum Beispiel in allen Verfahren die Staatsanwaltschaft, die auch stets Herrin des Gerichtsverfahrens ist - und nicht der unabhängige Richter. Die Defizite im Bereicht Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind zuletzt größer geworden.

"Das Thema Menschenrechte ist in den Hintergrund getreten"

sueddeutsche.de: Wladimir Putin ist seit 1999 Präsident. Alt-Kanzler Gerhard Schröder hat ihn einmal als "lupenreinen Demokraten" bezeichnet. Wie sehen Sie Putins Politik, gerade im Hinblick auf Menschenrechte?

Leutheusser-Schnarrenberger: Putin hat ein wichtiges politisches Anliegen: Er will die Staatsautorität ausbauen, weil er meint: Nur so könne man Russland in eine Zukunft führen, die wirtschaftliche Prosperität mit sich bringt und die innere Ruhe im Land herstellt.

Unter anderem hat er zum Beispiel seine Stellung bei der Ernennung der Richter ausgebaut. Initiativen wie diese gehen vom Kreml aus. Putin spielt somit auch in Menschenrechtsfragen die entscheidende Rolle.

sueddeutsche.de: Bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau im Januar hatte Angela Merkel bereits im Vorfeld angekündigt, heikle Themen nicht aussparen zu wollen. Zumindest bei diesem Treffen löste sie das ein. Wie bewerten Sie ihre derzeitige Russland-Politik in Menschenrechtsfragen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ihren Antrittsbesuch habe ich sehr positiv gesehen. In der Zwischenzeit ist das Thema Menschenrechte aber deutlich in den Hintergrund getreten, zumindest ist nach außen kaum etwas wahrnehmbar.

Lesen Sie auf Seite 2: Was Leutheusser-Schnarrenberger von der Kanzlerin bei ihrem Treffen mit Putin erwartet - und welchen Kurs sie in der Russland-Politik vorschlägt.

sueddeutsche.de: An diesem Dienstag trifft Merkel den russischen Präsidenten in Dresden. Sie hat bereits angekündigt, den Fall Politkowskaja und das Thema Pressefreiheit ansprechen zu wollen. Was erwarten Sie von der Kanzlerin außerdem?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich erwarte ein klares Zeichen, dass wir in Deutschland und der EU diese antidemokratische Politik Russlands für eine falsche und gefährliche halten. Dass wirtschaftliches Wachstum es nicht rechtfertigt, so eine einseitige Politik zu betreiben, muss deutlich werden.

Außerdem erwarte ich den Einsatz von Frau Merkel für eine unabhängige Aufklärung im Fall des Mordes an der Journalistin Anna Politkowskaja.

Ich kann jetzt schon klar sagen: Wenn der Eindruck entsteht, dass hier nur irgendein Schuldiger gefunden werden muss, am liebsten wahrscheinlich ein beleidigter Untergrundkämpfer aus Tschetschenien, dann werden wir im Europarat mit Sicherheit eine unabhängige Untersuchung initiieren.

sueddeutsche.de: Zuletzt dominierten häufig wirtschaftspolitische Themen den deutsch-russischen Dialog - auch deshalb, weil Russland als Energielieferant immer wichtiger wird. Außerdem braucht die internationale Staatengemeinschaft Moskau, um den Atomkonflikt mit Iran zu lösen. Wie muss eine Russland-Politik aussehen, die diese Aspekte berücksichtigt und gleichzeitig erfolgreich für den Schutz von Menschenrechten eintritt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Gerade Deutschland muss als ein wichtiger Partner und auch Handelspartner Russlands deutlich machen: Eine Wirtschaftspolitik um jeden Preis kann es nicht geben. Die Wirtschaftspolitik Deutschlands und der EU mit Moskau kann es nur unter Einbeziehung der Entwicklung Russlands im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte geben.

Außerdem muss eine Politik der Alternativen gesucht werden, zum Beispiel im Bereich der Energieversorgung. Merkel muss weiterhin vermitteln, dass Deutschland Russland für einen wichtigen Partner hält. Was es aber vor allem braucht, ist eine klare Sprache. Die wird in Moskau auch verstanden.

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