Rumsfeld:Niederlagen eines Hochmütigen

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Donald Rumsfeld bekommt eine saftige Abreibung für sein Versagen im Irak-Krieg und seine Intrigen im Kabinett. Warum Bushs Zorn auf seinen Verteidigungsminister mit jedem neuen Folter-Foto größer wird - aber selbst eine Entlassung keine Rettung brächte.

Von Wolfgang Koydl

Selbstvertrauen ist ja eigentlich das letzte, woran es Donald Rumsfeld gebricht. Im Gegenteil: Amerikas Verteidigungsminister gebietet normalerweise über ein Ego von den Ausmaßen einer Supernova, die - heller als tausend Sonnen - mindere Himmelskörper überstrahlt. Doch neuerdings scheint der kosmische Riese auf das Format eines Asteroiden geschrumpft zu sein.

So jämmerlich jedenfalls, so geknickt und kleinmütig wie bei seinem jüngsten gemeinsamen Auftritt mit dem Präsidenten hatten selbst altgediente Pentagon-Veteranen den Hausherren noch nie gesehen. Aber was heißt überhaupt gemeinsamer Auftritt? Rumsfeld hielt sich so schüchtern im Hintergrund wie ein Schüler, der soeben vom Direktor gemaß- regelt wurde und nun um alles in der Welt nicht schon wieder in dessen Blickfeld geraten will. Bereitwillig überließ er dem Oberkommandierenden den Vortritt, ja zuweilen sah es fast so aus, als ob er den Raum überhaupt nicht gemeinsam mit ihm betreten hätte. Auf den Fernsehbildern jedenfalls war Rumsfeld keinen Augenblick lang gemeinsam mit George Bush zu sehen, der seinerseits so selbstsicher auftrat, als ob er im Pentagon das Kommando führe.

Die Kameras mussten schon eigens hinüberschwenken von Bush vorne am Pult zu seinem Verteidigungsminister, der vergebens versuchte, in einem Akt von Mimikry mit dem blauen Wandbehang zu verschmelzen. Dann erhaschten sie ihn ausgerechnet auch noch in dem unglücklichen Moment, als er verlegen seinen Chef angrinste und liebedienerisch in der Hüfte abknickte - jeder Zoll das personifizierte schlechte Gewissen.

Der schützenden Brustwehr eines Rednerpults beraubt, suchte Rumsfeld seine fahrigen Hände irgendwo zu verstecken - an der Hosennaht, in der Jackentasche, vor der Brust, bis er sich schließlich die Brille vom Gesicht zog, ausgerechnet die Brille, deren funkelnd geschliffene Gläser ein Symbol für die herausfordernde Arroganz des Ministers sind. Denn ohne Brille wirkt Rumsfeld hilflos wie ein Maulwurf im kalten Tageslicht. So bis ins Mark erschüttert habe er den Minister noch nie gesehen, meinte denn auch ein Mitarbeiter gegenüber der Presse.

Bohrende Fragen

War es wirklich erst drei Tage her, dass Rumsfeld kühl, überlegen und selbstsicher den Vertretern von Senat und Repräsentantenhaus sechs Stunden lang die Stirne bot? So gut wie nie hatte er sich am vergangenen Freitag von den bohrenden Fragen der Senatoren und Abgeordneten aus der Ruhe bringen lassen. Er behielt sogar seine Contenance, als er gefragt wurde, was er von Forderungen nach seinem Rücktritt halte.

Er würde keine Minute damit zögern, wenn er das Gefühl habe, "nicht mehr effektiv" zu sein, hatte er gesagt und sich dabei offenkundig einer seiner Lebensweisheiten erinnert, die er in den berühmt gewordenen Rumsfeld-Regeln für den Staatsdienst niedergelegt hatte: "Sei bereit zurückzutreten - das erhöht deinen Wert für den Präsidenten und verbessert deine Leistung auf wundersame Weise."

Es ist nicht bekannt, ob auch George Bush mit dieser und anderen Regeln Donald Rumsfelds vertraut ist. Wenn man den offiziellen Verlautbarungen von Weißem Haus und Verteidigungsministerium glaubt, dann war er ja eigentlich nicht deshalb über den Potomac herübergekommen ins Pentagon, um den angeschlagenen Rumsfeld zu tadeln, sondern um ihm sein Vertrauen auszusprechen.

Er wollte sich hinter ihn stellen, ihm den Rücken stärken, ihm danken für seine herausragende Arbeit. Das alles tat Bush zwar auch, aber selten haben Ton und Körpersprache Worte derart Lügen gestraft. Der Präsident haspelte seine Lobsprüche herunter, als ob er sich einer lästigen Pflicht entledigen müsse. Seine Gesichtszüge verrieten kein Wohlwollen, sondern brodelnden Zorn. Wäre Bush ein Vulkan gewesen, man hätte das Pentagon evakuieren müssen.

Ja, Bush ist zornig. Zornig auf seinen Verteidigungsminister, zornig auch auf seinen Generalstabschef Richard Myers und andere Teile der Generalität. Bleich vor Zorn war Bush aber auch, weil man ihm soeben weitere Fotos und einen Videofilm vorgeführt hatte, die ebenfalls zeigen, wie amerikanische Soldaten wehrlose irakische Gefangene malträtierten und misshandelten; Fotos, von denen jene, die sie gesehen haben, nur schaudernd sagen wollen, dass sie unaussprechliche Scheußlichkeiten zeigten. Er sei "angewidert" gewesen, ließ Bush anschließend seinen Sprecher Scott McClellan sagen, und er könne es nicht glauben, dass US-Soldaten zu solchen Taten fähig seien.

Zornig aber ist Bush vor allem darüber, dass er Rumsfeld nicht so einfach zum Sündenbock des Skandals von Abu Ghraib machen und ihn sang- und klanglos entlassen kann. Denn wenn der Minister stürzt, dann dürfte er den Präsidenten mit sich reißen - spätestens im November, wenn gewählt wird in den USA. Oder, wie es ein Radiokommentator plastisch formulierte: "Selbst wenn Bush Rumsfeld vom Schlitten wirft, wird das die Wölfe nicht zufrieden stellen."

Uneins wie nie zuvor

Erschwert wird die Lage freilich dadurch, dass sich die Leute in dieser durch die Taiga rasenden Troika - um im Bild zu bleiben - uneins sind wie nie zuvor. Manche Insider sprechen von "offener Kriegsführung" am Kabinettstisch.

"Sie haben ja keine Ahnung, was es bedeutet, mit den Vereinigten Staaten von Rumsfeld zu tun zu haben", zitierte das Nachrichtenmagazin Time einen um Anonymität bittenden ranghohen Vertreter der Bush-Mannschaft im Weißen Haus, der zugleich die "destruktive Arroganz" des Verteidigungsministers beklagte. Und ein anderer Regierungsrepräsentant vertraute dem Blatt an, dass das Verhältnis zwischen Weißem Haus und Pentagon "in hellen Flammen" stehe. Der Präsident sei "total sauer, und zwar völlig zurecht".

Es wäre freilich weltfremd anzunehmen, dass es nicht auch schon in der Vergangenheit Missstimmungen, Meinungsverschiedenheiten und massive Streitigkeiten im inneren Zirkel des amerikanischen Präsidenten gegeben hätte. Bush rühmte sich stets, ebenso selbstbewusste wie selbständige Köpfe ins Kabinett berufen zu haben, die offen ihre Ansichten austauschen durften, damit er sich als Präsident dann ein abschließendes Urteil bilden könne.

Stolz war die Regierung freilich auch lange Zeit darauf, dass Zwist nie nach außen drang und auf den Titelseiten der nationalen Presse nachgelesen werden konnte. Doch unter dem Stress der vergangenen Monate brechen nun wohl auch die letzten Dämme: Die Feuergefechte und Hinterhalte von Falludscha und Nadschaf finden, so scheint es, mittlerweile ihre Entsprechung in den Korridoren der Macht zwischen Pentagon und Außenministerium, Weißem Haus und CIA-Zentrale.

Nie zuvor wäre es denkbar gewesen, dass ausgerechnet das Weiße Haus Kritik an einem Minister vom Kaliber Rumsfelds gezielt lanciert hätte. Bush sei sehr unzufrieden mit seinem Verteidigungsminister, erfuhr die Presse aus der Umgebung des Präsidenten, und er habe dies Rumsfeld unmissverständlich zu verstehen gegeben.

Die Bush-Männer verfolgten mit diesem Warnschuss gleichwohl noch einen anderen Zweck.

Zum einen mussten sie den Wählern klar machen, dass der Präsident nichts von den Übergriffen im Abu Ghraib-Gefängnis gewusst habe und nun umso entschlossener sei, dem Skandal auf den Grund zu gehen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Noch ist die Gefahr nicht gebannt, dass der Wähler irgendwann die Regierung Bush für die Schande verantwortlich macht, welche die Misshandlungen der Soldaten über die USA gebracht haben.

Und zum anderen hat sich auch bis in die Umgebung von George Bush herumgesprochen, wie rabiat und rücksichtslos Rumsfeld alle schmutzigen Tricks bürokratischer Grabenkämpfe anwendet. "Hätten wir das nicht getan", meinte ein Bush-Vertrauter zur vorbeugenden Kritik am Minister, "hätte das Pentagon gesagt: ,Wir haben es dem Weißen Haus gesagt, das Weiße Haus hat es gewusst'."

Rumsfelds Hintersassen wiederum revanchierten sich für die Kritik aus dem Oval Office umgehend mit Attacken auf jenes Kabinettsmitglied, auf das sie schon immer besonders gern und mit ausgesuchter Inbrunst eingeschlagen haben: Außenminister Colin Powell.

Wie schon bei jeder anderen internationalen Krise zuvor, so monierten sie, habe sich Powell auch diesmal wieder in seinem Büro verkrochen, anstatt Freunde und Verbündete persönlich aufzusuchen, um sie zu besänftigen. Der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry hatte zwar einmal gelästert, dass die Neo-Konservativen Powell "die Schlüssel zu seinem Flugzeug weggenommen" hätten; die innerparteilichen Gegner des Außenministers freilich unterstellen ihm, dass er selber nirgendwohin fliegen will. Powell wiederum ließ über enge Vertraute mitteilen, dass er es langsam wirklich satt habe, ständig Gefechte mit "Utopisten" im Pentagon auszufechten und immer nur "Schadensbegrenzung" betreiben und sich "in aller Welt entschuldigen" zu müssen.

Dies alles freilich ist, wie es ein weiterer Mitarbeiter der Bush-Administration eingestand, "nicht förderlich für eine gesunde Arbeitsatmosphäre". Das mag die Untertreibung des Jahres sein, aber sie belegt doch eine für den Präsidenten unangenehme Tatsache: Selbst wenn er es wollte, könnte er Donald Rumsfeld derzeit nicht entlassen, ohne sich selbst dabei zu schaden.

Wenn schon die Disziplin innerhalb seiner Regierung zu bröckeln beginnt, so will er wenigstens nicht nun auch noch seinen bislang verteidigten guten Ruf aufs Spiel setzen, loyal gegenüber engen Mitarbeitern zu sein.

Hinzu kommt eine rein praktische Erwägung: Ein Nachfolger von Rumsfeld müsste den Spießrutenlauf von Anhörungen im Senat absolvieren, bevor er sein Amt antreten kann. Die oppositionellen Demokraten freilich würden sich - zumal in einem Wahljahr - die Chance nicht entgehen lassen, diese Anhörungen zum Tribunal für Bushs Irak-Politik umzumünzen.

Schweißperlen auf der Stirn

In der Führung der demokratischen Partei gesteht man sich ohnehin reumütig ein, dass man selbst die Chance auf einen Sturz Rumsfelds verspielt habe.

Als der Skandal ruchbar wurde, waren auch republikanische Abgeordnete und Senatoren geneigt gewesen, den ruppigen Rumsfeld aus dem Amt zu entfernen - kein Wunder, hatte er sich doch von Anfang an mehr Feinde als Freunde gemacht. Doch als führende demokratische Politiker wie Präsidentschaftskandidat Kerry die Forderung nach einem Rücktritt oder einer Entlassung parteipolitisch schrill zuspitzten, verpuffte die parteiübergreifende Übereinstimmung. "Zum Glück haben sie es überreizt", kommentierte ein offenkundig erleichterter Bush-Berater die Fehleinschätzung der Demokraten.

Zudem hält es eine Mehrheit der Wähler derzeit nicht für nötig, den Verteidigungsminister zu ersetzen.

Freilich heißt dies nicht, dass Rumsfeld seinen Kopf schon gerettet hätte. Viel wird davon abhängen, welche Misshandlungen die neuen Fotos aus dem Irak zeigen und vor allem, wie sie bekannt werden. Der republikanische Senator Lindsey Graham, der es schon bei der Senatsanhörung als einziger schaffte, dem Minister mit seinen harten Fragen ein paar Schweißperlen zu entlocken, fordert die lückenlose Freigabe aller Fotos und Filme: "Ich will alles auf dem Tisch haben", meint er, "weil die Glaubwürdigkeit der USA auf dem Spiel steht."

Im Pentagon indes möchte man das explosive Material lieber unter Verschluss halten. Aber auch der Beginn des ersten Militärtribunals gegen einen Militärpolizisten in Bagdad kann Rumsfeld in Bedrängnis bringen. Schon jetzt sickert mehr und mehr durch, weshalb im Abu Ghraib-Gefängnis Moral und Disziplin zusammenbrachen, warum US-Soldaten zu Monstern wurden: Sie waren hoffnungslos überfordert, weil sie in der Minderzahl waren: In Abu Ghraib kam ein Wachsoldat auf 15 Häftlinge. Im zivilen Strafvollzug gilt ein Verhältnis von eins zu drei als normal. Doch darin bestand Rumsfelds Fehlkalkulation vom ersten Tage an: Ausgerechnet am Beispiel Irak wollte er seine Doktrin von der schlanken, smarten Truppe beweisen, die auf Know-how und Technologie setzt und auf starke Truppenverbände verzichtet.

Das war falsch - wie nicht nur das Beispiel von Abu Ghraib beweist. Amerikas Kommandeuren im Irak fehlen überall Soldaten. Rumsfeld war gewarnt worden, dass seine Strategie fahrlässig und leichtsinnig sei. Doch die Kritiker wurden mundtot gemacht, Rumsfeld wusste es besser. Denn Selbstvertrauen ist das letzte, woran es ihm gebricht. Man kann es freilich auch Hochmut nennen, jenen Hochmut, der vor dem Fall kommt.

© SZ vom 12.5. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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