Rütteln am §218:Vor dem Abbruch Kontoprüfung

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Elf Jahre ist der mühsam erkämpfte Kompromiss alt, der das Abtreibungsrecht in Deutschland regelt. Und bisher zahlen die Bundesländer für sozial bedürftige Frauen. Jetzt wollen die Bundesländer Sachsen und Thüringen das Gesetz verschärfen.

Heidrun Graupner

Auf der Konferenz der Gesundheitsminister am Donnerstag werden Sachsen und Thüringen vorschlagen, die Einkommensgrenze bedürftiger Frauen zu senken, die bislang bei einem Schwangerschaftsabbruch Anrecht auf Übernahme der Kosten haben.

(Foto: SZ-Grafik: Beck, Foto: dpa)

"Wir schauen, ob es eine Einigung auf Länderebene gibt, für uns besteht bisher kein Handlungsbedarf", sagt Iris Bethge, Sprecherin von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen.

Und doch: Dass am Donnerstag die Konferenz der Landesgesundheitsminister in Dessau über die Finanzierung von Abtreibungen für sozial Bedürftige diskutieren wird, ist der Ministerin ganz Recht.

"Wir sind für die Senkung der Einkommensgrenze - und für die Feststellung der Bedürftigkeit," meint Iris Bethge.

Bislang übernehmen die Bundesländer die Kosten, wenn eine Frau abtreiben will, sich aber die Abtreibung nicht leisten kann. Diese Finanzierung von Abtreibungen für Bedürftige steht nun auf dem Prüfstand.

Sachsen und Thüringen ist die Einkommensgrenze von fast 1000 Euro zu hoch, bis zu der eine Frau Anrecht auf finanzielle Hilfe hat; die Länder wollen die Grenze auf 662 Euro (den doppelten Satz des Arbeitslosengeldes II) herabstufen und die Bedürftigkeit von Frauen genauer prüfen - wie es der Paragraf 218 im Konfliktfall durchaus vorsieht.

Nicht Abtreibungen, sondern Geburten braucht das Land

Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Nordhrein-Westfalen oder Bayern unterstützen diesen Vorstoß. In Niedersachsen werden immerhin 90 Prozent der Abtreibungen vom Land finanziert, in Bayern sind es 71 Prozent.

"Uns geht es nur um die hohen Kosten,", heißt es in Kiel. Im bayerischen Sozialministerium legt man dagegen eine sehr grundsätzliche Begründung vor: "Die extrem hohen Quoten der staatlichen Finanzierung der rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüche stehen im deutlichen Widerspruch zum staatlichen Schutz des ungeborenen Lebens."

Im Klartext: Nicht Abtreibungen, sondern Geburten braucht das Land.

Beim Bundesverband von pro familia betrachtet man die Diskussion mit Sorge. Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt würden einer zusätzlichen Härte ausgesetzt, sagt Regina Wlassitschau.

Die hohe Quote liege an der Einkommenssituation der Frauen, von denen viele Halbtagsjobs hätten. Schon jetzt überprüften die Krankenkassen die Angaben der Frauen genau; und die Höhe der Einkommensgrenze habe der Gesetzgeber mit gutem Grund so festgelegt.

Seit 1995 anonym und unabhängig

1995 war nach langen politischen Kämpfen mit der Abtreibungsreform für Frauen die Möglichkeit geschaffen worden, anonym und unabhängig von Partner und Familie nach einer Beratung über den rechtswidrigen, aber straflosen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden.

Das Geld sollte nicht als Hebel eingesetzt werden können, um Frauen die Abtreibung schwer zu machen oder sie in Abhängigkeit von ihrem Partner zu bringen. Allein das Einkommen der Frau wird daher als Maßstab der Bedürftigkeit herangezogen - und zwar in einer Höhe, in der eine Abtreibung ohne finanzielle Zwänge möglich ist.

Die Abwicklung der Bedürftigkeitsüberprüfung wurde den Krankenkassen übertragen. Auf diese Weise sollte vermieden werden, dass die Frauen im Sozialamt, wo sie bekannt sind, vorsprechen müssen und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung noch nicht abgeschlossen ist. All dies, so hieß es 1995, entschärfe die Krise und erleichtere die Entscheidung für das Kind.

Der Antrag der Länder kommt manch einem in der Union gelegen. Mit sinkenden Geburtenraten und angesichts der Demografiedebatte wird das Gesetz von 1995 immer häufiger in Frage gestellt - trotz zurückgehender Abtreibungszahlen. Ihr Vorstoß würde wichtige Teile aus der Jahrhundertreform herausbrechen.

© SZ vom 28.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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