Rot-Grüne Koalition:Der kleine Partner ist irritiert

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Angesichts der katastrophalen Umfragewerte der SPD schonen die Grünen ihren Koalitionspartner. Doch intern fürchtet man um die Glaubwürdigkeit der Partei. Wird diese bei Kernthemen wie dem Atomanlagen-Export und den Menschenrechten weiter angekratzt, werden auch die Grünen verlieren.

Von Reymer Klüver

Es ist vertrackt, schon seit Monaten. In Umfragen liegen die Grünen stabil oder legen gar zu. Joschka Fischer, Außenminister und Partei-Patriarch, bleibt mit Abstand der beliebteste Politiker. Bei Wahlen schneiden sie gut ab. Aber die strategische Mehrheitsfähigkeit ist ihnen abhanden gekommen, weil der Partner schwächelt.

Sie sehen sich als "hoch vernetzte Regierungspartei", aber sind gleichzeitig von Zweifeln geplagt, ob das beim großen Mitstreiter auch der Fall ist, ja, ob das rot-grüne Projekt überhaupt noch eine Zukunft hat. Wer den grünen Teil der Berliner Koalition vor dem SPD-Sonderparteitag inspiziert, stößt rasch auf eine Art produktiven Fatalismus.

Bloß die Nerven bewahren, lautet die Devise angesichts der niederschmetternden Umfrageergebnisse der SPD. Es gibt keine Alternative. So sagen sie alle, aber nur hinter vorgehaltener Hand, in Hintergrundgesprächen. Keiner will den angeschlagenen Partner provozieren.

Der "Münte-Faktor" bleibt aus

Was vielleicht nicht allen vor der Wahl in Hamburg so bewusst war, ist jetzt unzweifelhaft klar. Schwarz-Grün bleibt ein Gedankenspiel, in den Ländern wie im Bund. So hat es die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Krista Sager, schon immer gesagt.

Entweder schafft es die Union allein, oder aber die FDP steht zur Verfügung - zu besseren Konditionen als die Grünen. Selbst die SPD wäre im Zweifel eher ein Partner der Konservativen. Wollen sie aktiv Politik machen, sind die Grünen auf die Sozialdemokraten als Mehrheitspartner angewiesen.

Auch die Alternativen hatten auf den "Münte-Faktor" gehofft, nur hat der sich noch nicht so recht materialisiert. Manche, zumal in der Bundestagsfraktion, beunruhigt, dass sie bei ihren roten Kollegen nicht einmal den Anflug einer Aufbruchstimmung ausmachen können. "Die sind so gebremst", lautet das Urteil, "das ist anders als früher."

"Eine Reihe von Hakeleien"

Viele Sozialdemokraten wüssten nicht, wohin der Kurs gehe. Es ist absehbar, dass die Grünen angesichts des selbst aufgebauten Reformdrucks der Koalition diesen Zustand nicht lange aushalten können.

Noch sagen sie in der Fraktionsführung, es gebe zwischen den Fraktionen keine Streitthemen, vergessen aber nicht hinzuzufügen: "Es gibt allerdings eine ganze Reihe von Hakeleien" - was etwa angesichts der jüngsten Clement-Trittin-Rempeleien um den Schadstoff-Ausstoß der Industrie eine äußerst freundliche Umschreibung ist.

Doch gerade die Regierungserfahrenen bei den Grünen können nachempfinden, dass bei der SPD die Brücke zwischen Reformern und Beharrungskräften noch nicht endgültig geschlagen ist. "Die Debatte über die Sozialreformen ist für die Sozialdemokraten das, was die Kosovo-Debatte für uns bedeutete", analysiert ein führender Kopf der Partei einsichtig. Da als Besserwisser aufzutreten, dürfte eher kontraproduktiv wirken.

Mut zur Rücksichtnahme

Selbst bei der grünen Parteilinken finden markige Rufe nach mehr Profil gegenüber den Sozialdemokraten nur vereinzelt Widerhall. Vor zwei Wochen wurde die verfahrene Situation der Regierung diskutiert bei einem Treffen unter dem Motto "Links in der Mitte". Jürgen Trittin war dabei, auch Claudia Roth, die im Herbst wohl auf den Parteivorsitz zurückkehren wird, wenn Angelika Beer ins Europaparlament gewechselt ist.

Auch bei diesem Treffen der erweiterten Linken in der Partei war eines rasch klar: Niemand will jetzt den aufrechten Gang in die Opposition einüben.

Bei so viel Mut zur Rücksichtnahme müssten die Grünen allerdings aufpassen, sagt einer, der sich viele Gedanken zur Parteistrategie macht. Auch sie seien verwundbar. Der Aufruhr in den Kreisverbänden über Schröders Hanau-Atomverkaufsprojekt an China, das Stirnrunzeln über Zugeständnisse im Zuwanderungsstreit - beides zeige, dass die Partei ihre zentralen Themen nicht vernachlässigen dürfe.

"Wir müssen da härter als bisher sein"

Diese Analyse teilen sie alle in der Parteiführung, auch der Chef Reinhard Bütikofer: Wenn die Glaubwürdigkeit bei den Kernthemen durch die Regierungspraxis weiter angekratzt wird, werden auch die Grünen verlieren.

Allen ist klar: Den Verzicht auf den Export der Hanauer Atomanlage werden sie dem Kanzler abringen müssen, wollen sie nicht innerlich zerrissen werden. Schließlich geht es um den Kernbestand ihrer nuklearen Ausstiegs- und ihrer Menschenrechtspolitik.

Sie werden in der Bildungsdebatte dafür sorgen müssen, dass nicht die Eliteförderung das Kampagnenthema bleibt. Sie werden das Versprechen einlösen müssen, endlich die Betreuung von Kindern auch unter drei Jahren flächendeckend zu ermöglichen. Und sie dürfen sich in der Energiepolitik, beim Widerstand gegen die Kohlesubventionen zumal, nicht den Schneid abkaufen lassen.

"An diesen Stellen müssen wir härter als bisher sein", sagt der Parteistratege. Keiner in der Parteiführung wird da widersprechen. Nur laut haben sie es den Sozialdemokraten noch nicht gesagt.

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