Rom und die Krise:Die italienische Kur

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Politische Turbulenzen, ein "extremes Gefühl der Angst" in der Gesellschaft und ein ratloser Premier: Italiens Demokratie ist in der Krise - und versucht die Selbstheilung.

Stefan Ulrich

Romano Prodi, der italienische Premier, empfindet sein Land als anormal und warnt vor Gefahren für die Demokratie. Er sieht in der Politik eine Allianz der Blockierer am Werk und spürt in der Gesellschaft ein "extremes Gefühl der Angst".

Der Regierungschef beklagt die Macht der Mafia, bedauert fremdenfeindliche Exzesse und er legt angesichts der Gewaltorgien von Fußballfans ein für Politiker seltenes Geständnis ab: Er sei ratlos. Die Ehrlichkeit ehrt Prodi. Doch sie drängt die Frage auf: Ist der italienische Staat der kranke Mann Europas?

Ein imaginärer Doktor würde gewiss Symptome ausmachen. Da wäre diese Blockade, die verhindert, dass das Herz des Staates - die Regierung - kräftig schlägt. Unüberschaubar viele Kleinparteien blähen mit erpresserischen Sonderwünschen Haushalt und Staatsapparat auf und lähmen jeden Reformgeist. Prodi selbst kann nicht auf Anhieb präzise sagen, mit wie vielen Gruppen er gerade koaliert. Doch Versuche, die Parteien-Epidemie einzudämmen, scheiterten bislang am Widerstand - der Parteien.

Italien sei eine Nation, "die Veränderungen misstrauisch gegenübersteht, aber auch vor der Normalität zurückschreckt", befindet der Publizist und Aphoristiker Beppe Severgnini. Darin liegt das Problem. Viele Politiker ziehen ein konservatives Chaos einer progressiven Ordnung vor, bei der sie ihre Pfründe verlieren könnten.

Sinn für Solidarität

Zu Recht werden die in Rom Regierenden und Opponierenden von den Bürgern als Kaste gescholten. Nur: In einer Demokratie sind Politiker Repräsentanten des Volkes. Sie mögen belastbarer, dynamischer und telegener sein als der Durchschnittsbürger - moralisch erhabener sind sie eher nicht. Darin liegt ein Sinn des Satzes, jedes Volk habe die Führer, die es verdient.

Viele Italiener besitzen, bis heute, einen ausgeprägten Sinn für Solidarität im Familien- und Freundeskreis. Das ist eine Stärke. Ihnen mangelt es zugleich an Solidarität mit dem Ganzen, mit Gesellschaft und Staat. Das ist eine Schwäche. Und die Politiker? Sie verhalten sich wie ihr Volk. Sie pfeifen auf das Wohl der Allgemeinheit und sorgen für die Klientel ihrer kleinen Partei, die eher von Vergünstigungen zusammengehalten wird denn von einem Programm. Das gilt nicht für alle natürlich. Aber für zu viele.

Ein weiteres Symptom trägt den Namen Berlusconi. Noch immer beherrscht der ewige Cavaliere ein Medienreich, dessen Größe die Demokratie schwächt. Eine Links-Regierung unter Prodi versäumte es in den neunziger Jahren schon einmal, Silvio Berlusconis Monopol beim Privatfernsehen aufzubrechen. Nun scheint sie damit erneut zu scheitern.

Der Premier behauptet zwar, Berlusconis Abgeordnete sabotierten die Reform. Doch der Eindruck bleibt: Die Regierung Prodi geht das Medienproblem nicht mit letzter Entschlossenheit an. Womöglich hat sie Angst, der Oppositionsführer werde ihr sonst den Garaus machen.

Berlusconi steht aber noch für eine andere Schwäche Italiens: die Bereitschaft vieler Bürger, sich Patriarchen anzuvertrauen. Über zwei Jahrtausende war das Land von der Herrschaft starker Männer geprägt, ob sie nun Cäsar, Papst, Kaiser, Principe oder Duce hießen. Revolutionen waren selten, und noch seltener erfolgreich.

Der Coup des Cavaliere

Diese Tradition wirkt fort. Berlusconi agiert nicht wie ein Demokrat, sondern wie ein Souverän. Per Handstreich hat er gerade sein eigenes politisches Geschöpf liquidiert, Forza Italia, die größte Partei Italiens. Genauso selbstherrlich gründet er seine neue Partei der Freiheit. Man stelle sich vor, Angela Merkel würde so mit der CDU umspringen.

Der Coup des Cavaliere wirkt wie ein Zirkusspektakel: Er stopft Forza Italia in seinen Zauberhut und zieht die Partei der Freiheit heraus. Die Zuschauer applaudieren, der Meister sonnt sich im Lichterglanz der Manege. Tatsächlich aber birgt die Show auch Substanz: Berlusconi hat sich endlich bereiterklärt, mit Walter Veltroni, dem Chef der neuen großen Linkspartei Die Demokraten, über eine Reform des Wahlrechts zu verhandeln. Das Ziel der beiden: Die Macht der Kleinparteien soll gebrochen werden. Ein künftiger Wahlsieger könnte dann viel zügiger als bisher regieren.

Gewiss: Berlusconis Sorge gilt weniger Italien denn sich selbst. Er will seine Rivalen auf der Rechten verdrängen, die seinen Führungsanspruch bestreiten. Dieses Mal aber könnten sich die Interessen des Cavaliere mit denen des Landes decken.

Wenn ein neues Wahlrecht die Tyrannei der "partitini" beendet und die großen Parteien ungehinderter regieren lässt, ließe sich Italien eher sanieren. Zumindest könnten die Ministerpräsidenten nicht mehr argumentieren, sie würden von ihren vielen Koalitionspartnern gebremst. Auch ein möglicher künftiger Premier Berlusconi müsste dann auf eigene Verantwortung regieren - und hätte Erfolg oder würde entzaubert.

Italien darf also hoffen. Eine Neuordnung der Politik zeichnet sich ab. Angesichts des alten Systems ist das eine gute Nachricht. Auch scheint der Leidensdruck der Bürger groß genug zu sein, die Kaste zur Kur zu zwingen. Die riesigen Demonstrationen der vergangenen Monate, an denen sich Millionen beteiligten, sind ein Symptom für Vitalität. Das kranke Italien wirkt gesund genug, mit der Selbstheilung zu beginnen.

© SZ vom 21.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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