Reportage:"Wir machen jede Nacht Bagdad"

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Es brennt nicht mehr nur in Paris, sondern auch in Straßburg, Lille, Rennes, Toulouse und anderswo in Frankreich. Die neunte Nacht des Feuers war die bisher schlimmste: 900 Fahrzeuge wurden abgefackelt, unzählige Gebäude angezündet. Eine gehbehinderte Frau verlor fast das Leben.

Über Blogs im Internet prahlen jugendliche Brandstifter mit ihrer Erfolgsquote. Randale wird fast schon zum "Trendsport".

Auch in fernen Provinzstädten nehmen Pubertierende und junge Männer aus den Einwanderermilieus die Herausforderung aus Paris an. Politische Parolen skandieren sie nicht. Aber Hass auf Innenminister Nicolas Sarkozy wird spürbar, der mit dem "Hochdruckreiniger" das "Pack" vertreiben wollte. "Jetzt vertreiben wir Dich mit dem Kärcher" (Hochdruckreiniger), heißt es.

Taktik wie bei der Stadtguerilla

Aus anfänglichen Straßenschlachten mit der Polizei ist ein allnächtliches Katz-und-Maus-Spiel geworden. Bewaffnet mit Handy, Brechstange und Brandsatz ziehen jeweils zwei, drei Leute los. Ein schneller Schlag mit dem "Kuhfuß" in die Windschutzscheibe, ein Molotow Cocktail fliegt in den Wagen - und schon ist der Trupp verschwunden.

Seit die Polizei mit Greiftrupps unterwegs ist, werden auch Motorräder eingesetzt. Damit sind die Kommandos der Zündler noch mobiler. Über Handys werden die Bewegungen der Polizei gemeldet. Es ist eine Taktik wie bei der Stadtguerilla.

"Wir machen hier jede Nacht Bagdad", sagt ein Vermummter in Sevran bei Paris. Doch wie eine politische Aussage wirkt das nicht. Eher wie eine Orientierung an Fernsehbildern. "Es wäre besser, nach Paris zu ziehen, als hier bei uns alles kaputt zu machen", bemerkt ein Kumpel noch. Denn die Opfer, das sind vor allem die eigenen Nachbarn und Freunde.

Die eigenen Jungs

"Warum habt ihr mein Auto angezündet, warum gerade meins?", ruft ein junger Mann verzweifelt. Hilflos muss er zusehen, wie sein Wagen in Flammen aufgeht. Er kenne die Täter, sagt er. Es sind Nachbarn. Aber nennen will er sie nicht.

"Das sind unsere eigenen Jungs", sagt Mohamed Rezzoug. Jede Nacht ist der Vizepräsident des Fußballclubs von Blanc-Mesnil auf der Straße, um zu verhindern, dass seine Sporthalle in Flammen aufgeht. Jede Nacht redet er beruhigend auf die Jugendlichen ein. "Sie antworten mir: Momo, wir werden alle f...", sagt er.

Beim Starren auf die Hitparade der brennenden Autos gerät in den Hintergrund, dass es bei der Randale auch um Leben und Tod gehen kann. Nur einem mutigen Busfahrer verdankt eine gehbehinderte Frau in Bobigny bei Paris ihr Leben. Jugendliche hatten ihren Bus mit brennenden Straßensperren zum Halten gezwungen und einen Brandsatz in das Fahrzeug geworfen. Alle Passagiere retteten sich, doch die 56- Jährige kam nicht aus dem Bus heraus.

Ein Jugendlicher bespritzte die Frau mit Benzin und ein anderer warf noch einen brennenden Lappen in den Wagen. Der Busfahrer zog die Frau schließlich an den Füßen aus den Wagen. Sie überlebte mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades auf einem Fünftel der Haut. Doch für die jugendlichen Randalierer ist der Vorfall kein Thema.

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