Reportage:Ein jeder bleibt bei seiner Sprache

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Auch in Moskau macht Merkel um kein Thema einen Bogen. Doch zwischen dem Besuch bei Bush und der Visite bei Putin liegen klimatische Welten.

Christoph Schwennicke

Zweimal geht der Blick des Präsidenten nach oben, in die tatsächlich sehenswerte Kuppel des Katharinensaals, so als suche er wenigstens optisch Ablenkung von dem, was er sich da anhören muss.

Partner mit Distanz: Angela Merkel und Wladimir Putin. (Foto: Foto: Reuters)

Das erste Mal ist das so, als Angela Merkel sagt, man habe sich auch über Dinge unterhalten, bei denen man nicht einer Meinung sei, das zweite Mal, als der Gast die feine Unterscheidung macht, dass es beim russischen Gesetz zu den Nichtregierungsorganisationen zunächst "eine Menge" Einwände gegeben habe, von denen die russische Regierung im aktuellen Entwurf "einige" berücksichtigt habe.

Von einer sachlichen Begegnung spricht man wohl bei einem Ereignis wie diesem: Am Montagnachmittag begegnen sich Wladimir Putin und Angela Merkel zum ersten Mal, seitdem sie Kanzlerin ist.

Zwar ist der Saal noch ornamentöser und prunkvoller als der im Weißen Haus, in dem Merkel sich am vergangenen Freitag mit US-Präsident George Bush traf. Aber sonst liegen zwischen East Room und Katharinensaal nicht nur zwei Tage und mehrere tausend Kilometer, sondern auch klimatische Welten.

Plaudernd und schlendernd hatten sich Bush und die Kanzlerin an die Mikrofone begeben - bei Putin schreitet Merkel voran, und der Hausherr folgt gemessenen Schrittes.

Und dann fällt auf, dass der Übersetzer vom Russischen ins Deutsche, der nur das Statement Putins Wort für Wort vorlesen muss, einen viel einfacheren Job hat als sein Kollege, der bei Merkels Rede zuhören muss, was die Dame sagt.

Von der freundschaftlichen Atmosphäre, von der beide aus ihrem Gespräch berichten, ist beim öffentlichen Auftritt auf den ersten Blick nicht so viel zu bemerken, eher geschäftsmäßig gehen die beiden miteinander um.

Nicht einmal für Freunde folkloristischer Elemente ist etwas dabei. Obgleich der Zunge des anderen wechselseitig mächtig, verbleiben sie beide in ihren Muttersprachen.

Auseinandersetzung mit sportiven Zügen

Dass Merkel ihren Gastgeber aber versteht, zeigt sich ein- oder zweimal, als sie schon reagiert auf die Worte des Präsidenten, bevor ihr die Übersetzung geliefert worden ist.

Von Bush zu Putin: Die Auseinandersetzung mit dem russischen Präsidenten hat für Merkel intellektuell sportive Züge. Sie, selbst ebenfalls von Natur aus mit einem messerscharfen Verstand ausgestattet, hat Respekt vor dem analytischen Scharfsinn Putins, den sie wahrscheinlich, ohne jemandem zu nahe zu treten, höher einschätzt als jenen des anderen Weltenlenkers.

Zugleich geht sie mit einer gewissen Reserve in die Treffen mit dem Mann ohne Mimik. Es ist wie bei einem Schachspiel unter zwei Großmeistern: Merkel hat sich auf das Gespräch und die Züge des Präsidenten genauestens vorbereitet, hat ihre Eröffnung parat gelegt und die vermutlichen Reaktionen Putins einkalkuliert.

Empfehlenswert ist zum Beispiel, das lehren die Beispiele anderer Besucher, bei Putin nicht gleich als Erstes Tschetschenien anzusprechen, weil er die Eigenart hat, unangenehme Fragen zuzutexten mit ebenso langatmigen wie nichtssagenden Ausführungen.

Kostprobe für Feinschmecker der politischen Redekunst

Dass Themen wie der Umgang mit kritischen Nichtregierungsorganisationen und Tschetschenien dennoch nicht ausgespart bleiben, erweist sich in der Pressekonferenz.

Merkel lässt keinen der Punkte aus, um die ihr Vorgänger immer einen Bogen gemacht hat. Für Feinschmecker der politischen Redekunst und der rhetorischen Finessen gibt Putin ein paar kleine Kostproben zum Besten, etwa wenn er süffisant anmerkt, dass er sich sehr über das große internationale Interesse an seinem NGO-Gesetz freue.

Oder, als er nach der demokratischen Entwicklung in Russland und etwaiger Kritik seines Gastes gefragt wird und anmerkt, er habe sehr wohl das Spiegel-Interview der "werten Kollegin Merkel" gelesen. Ein wenig persönlich wird es erst zum Schluss.

Merkel hat die Übersetzung einer Frage nicht verstanden, und der Präsident verlässt sein Pult, um sie ihr selbst zu erklären. Und am Ende der etwa 45 Minuten gehen die beiden dann auch plaudernd von dannen.

Danach fährt Merkel in die Residenz des deutschen Botschafters, um sich dort mit etwa 30 Oppositionellen, Journalisten und staatsfernen Wirtschaftsmenschen, also geistigen Abweichlern im weiteren Sinne, zu treffen. Auch eine Methode, Themen zur Sprache zu bringen.

© SZ vom 17.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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