Reportage:Die Falle von Darfur

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Das einzige, was im Kriegsgebiet Westsudans funktioniert, ist die internationale Nothilfe - aber die könnte indirekt auch den Konflikt verlängern.

Von Arne Perras

Zamzam, im September - Die Angst umfängt Husna wie eine Fessel. Die junge Frau traut sich von diesem Lager nicht mehr fort. Mag sie noch so viel Sehnsucht haben nach ihrem Dorf Tabit. Früher hat sie dort Tee verkauft, im kleinen Kiosk ihrer Mutter.

Doch die Mutter ist tot - zerfetzt von einer Rakete, die ein Kampfhubschrauber im April auf das Dorf abfeuerte. Husna musste fliehen, mit ihren zehn kleineren Geschwistern. Einen Monat irrten sie umher, bevor sie Zamzam erreichten, dieses staubige Camp im Norden Darfurs, wo sich mehrere tausend Vertriebene zusammengeballt haben.

Husna und ihre Geschwister haben sich aus Dornbuschzweigen einen kleinen Unterschlupf geflochten, der die Form eines Iglus hat und der mit einem löchrigen Stück Plastik abgedeckt ist.

Vor dem heftigen Regen, der hier manchmal niedergeht, schützt sie das nicht, auch nicht vor der brennenden Sonne, die alles zum Glühen zu bringen scheint.

Und doch wollen die Menschen nicht fort von diesem elenden Ort. Denn da draußen, das weiß Husna, lauert der Tod. Wer sich etwas weiter hinaus wagt aus den Camps, der ist Freiwild, ohne jede Deckung.

Fast eineinhalb Millionen Menschen hat der Krieg im Westsudan schon entwurzelt, seitdem die Machthaber in Khartum nomadisierende Reitermilizen ins Feld schickten, um Aufständische in der Region Darfur zu bekämpfen.

Gelitten haben vor allem die Ackerbauern, deren Dörfer zerstört wurden. Gejagt von den bewaffneten Banden, hatten die Vertriebenen keine Chance, ihre Hirsefelder zu bestellen.

Nur wenige Flächen bebaut

Was jeder sehen kann, der auf der sandigen Piste durch die weiten Ebenen Darfurs fährt. Man kann Stunden dahinfahren, bis man erstmals einen Bauern entdeckt, der mit seinem Kamel einen Pflug durch die karge Erde zieht. Nur ganz wenige Flächen sind bebaut, vielleicht zwanzig Prozent, wie die Vereinten Nationen schätzen.

Und die Regenzeit neigt sich schon wieder ihrem Ende zu. Wer jetzt nicht längst ausgesät hat, wird erst in einem Jahr wieder seine Felder bestellen können.

Frühestens. Denn es sieht nicht so aus, als könnte es eine schnelle Einigung zwischen der Regierung und den Rebellen geben. Zwar sitzen die verfeindeten Lager im nigerianischen Abuja am Verhandlungstisch, doch die Gespräche stocken, weil die Rebellen ihre Kalschnikows nicht niederlegen wollen, solange ihre Gegner, die so genannten Janjaweed-Milizen, nicht entwaffnet sind.

So lange das Land so unsicher ist, so lange immer wieder Nachrichten über neue Kämpfe ins Lager dringen, wagt sich niemand zurück in die zerstörten Dörfer.

"Alles nur Theater"

Da kann Präsident Omar al-Baschir, der die Machtclique in Khartum anführt, viel reden und der Welt vorgaukeln, dass die Vertriebenen schon längst zurückkehren würden. "Alles nur Theater", sagt ein UN-Mitarbeiter. "Das sind inszenierte Szenen für die Kameras."

"Wohin sollten wir auch gehen?", fragt Husna. Sie hat selbst gesehen, wie die Hubschrauber kamen und ihre Raketen abfeuerten, wie die Reitermilizen die Hütten anzündeten und alle niedermachten, die nicht schnell genug fortlaufen konnten.

"Wir haben nichts mehr, wohin wir zurückgehen könnten." Die Dörfer jetzt schon wieder aufzubauen, halten die meisten Helfer noch für zu riskant. Bleiben vorerst nur die Lager, wo die Hilfsorganisationen Lebensmittel verteilen und Ärzte versuchen, die Schwachen und Kranken irgendwie am Leben zu erhalten.

Für die Vertriebenen, sofern man sie überhaupt erreicht, sind die ausländischen Helfer der einzige Halt. Die Regierung in Khartum hat es bislang geschickt verstanden, eine größere Truppe ausländischer Soldaten für Darfur zu blockieren.

Der UN-Sicherheitsrat ist völlig zerstritten über die Frage, wie man denn umgehen solle mit diesem Regime, ob es Sanktionen geben müsse oder nicht, ein Ölembargo vielleicht, oder doch nur warnende Worte.

Da ist die Verlockung auf Seiten der Politiker groß, wenigstens die Erfolge der humanitären Arbeit zu preisen.

Nothilfe als Politik-Ersatz? "Wir sind nicht der Reparaturbetrieb der Weltpolitik", klagt ein internationaler Helfer, der glaubt, dass sich die Regierungen in Europa und anderswo viel zu spät und viel zu wenig mit diesem Konflikt befasst haben - und sich auch zu wenig anstrengen, ihn zu lösen.

In der Hauptstadt Khartum, drei Flugstunden von der Kriegsregion Darfur entfernt, grübeln die Hilfsstrategen der Vereinten Nationen über ihren Einsatzplänen. Der Portugiese Ramiro Lopes da Silva, der den Einsatz des Welternährungsprogramms (WFP) leitet, ist mit seinen Gedanken schon im nächsten Jahr.

"Wir müssen uns darauf einrichten, bis zu zwei Millionen Menschen in Darfur zu versorgen", sagt er. Mindestens. Gewaltige Mengen an Hirse würden dafür benötigt, 35.000 Tonnen pro Monat. "Im Jahr kostet das etwa 300 Millionen Dollar."

Vieles werden sie aus der Luft abwerfen müssen, weil es keinen Landweg gibt. Das ist besonders teuer. Da Silva spricht es offen aus: "Wenn es in diesem Jahr keine politische Lösung für Darfur gibt", sagt er, "dann haben wir es mit einem chronischen Leiden zu tun."

Was geschieht, wenn sich Nothilfe in einem Krieg auf Dauer einrichten muss, ist andernorts im Sudan bereits zu beobachten. Im Süden des Landes, wo sich Rebellen schon seit Jahrzehnten gegen das Regime in Khartum auflehnen, ist die humanitäre Hilfe längst Teil des Problems geworden.

Zwar hat der Tropf Millionen Menschen am Leben erhalten. Aber er hat auch den Krieg weiter genährt, zumindest indirekt. Denn es ist gar nicht zu vermeiden, dass von derartiger Hilfe auch die kämpfenden Milizen profitieren.

Diese Falle könnte auch in Darfur zuschnappen, wenn die Gespräche zwischen Rebellen und der Regierung nicht bald vorankommen.

Husna hat keine Zeit, so weit in die Zukunft zu blicken, sie muss sehen, wie sie sich im Lager Zamzam über den Tag rettet. Vor allem braucht sie Feuerholz, um das Essen zu bereiten für ihre zehn Geschwister.

Holz, das immer schwieriger zu besorgen ist, weil ja Tausende im Lager auf der Suche sind. Außerhalb der Lager kann man sehen, was das anrichtet.

Rundherum sind alle Büsche und kleine Bäume abgeholzt, nur noch traurige Stümpfe ragen aus dem sandigen Boden.

© SZ vom 11.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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