Reportage:Bleiben, weil die anderen gehen

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Jeder Schritt in Bagdad ist lebensgefährlich für sie und ihre Kinder, doch die Politikerin Pascale Isho Warda ist entschlossen, dem Terror zu trotzen - obwohl alle anderen, die es sich leisten können, fliehen.

Von Peter Münch

Es war ein langer Weg, raus aus der Hölle. Sie hat ihren Koffer gepackt, ein paar wichtige Papiere und die Tasche mit dem Laptop. Dann hat sie die beiden kleinen Töchter fertig gemacht, angekleidet für die Reise.

Im Fadenkreuz des Terrors: Pascale Isho Warda. (Foto: Foto: AFP)

Shlama, die Vierjährige, und Nishma mit ihren sieben Jahren werden sehr aufgeregt gewesen sein. Schließlich kommen sie selten vor die Tür in diesen Zeiten.

Und dann sind sie ins Auto gestiegen und losgefahren, raus aus der Stadt, auf der breiten Straße zum Flughafen, die sie den Highway des Todes nennen.

Alles ist gut gegangen, kein Anschlag an diesem Tag auf dieser Strecke, die ständig Stoff für blutige Kurznachrichten in der Weltpresse liefert. Und nun sitzt Pascale Isho Warda in München, bei einem Zwischenstopp auf einer Reise durch Europa, weit weg von Bagdad, weit weg von ihrem Haus nahe des Tigris-Ufers - und weit weg vom täglichen Terror.

So ruhig, so grün, so friedlich - noch

Die Töchter sind vorübergehend bei Freunden in Frankreich untergebracht, die Mutter hält ein paar Vorträge über den Irak mit großem Gruselpotenzial, doch erst einmal spricht sie nun vom Paradies, das sie im Vorstadtgarten ihres Münchner Gastgebers gesehen hat. So ruhig, so grün, so friedlich.

Die Anspannung aber will nicht weichen aus ihrem Gesicht, wohl auch, weil sie weiß, dass sie schon in wenigen Tagen mit ihren beiden Mädchen wieder den Rückweg in die Hölle antreten wird. Freiwillig, weil es für sie keine Alternative, keinen anderen Weg geben darf.

Warda ist eine kleine, kräftige und vor allem kraftvolle Frau. Wer sie reden hört mit ihrer lauten und heiseren Stimme, und wer sie gestikulieren sieht mit den zupackenden Händen, an deren Fingern vier goldene Ringe stecken, der merkt schnell, welche Kämpfernatur in ihr steckt.

Vieles hat sie ertragen müssen, immer hat sie durchgehalten: die Unterdrückung ihrer Familie unter dem Saddam-Regime, die Zeiten im französischen Exil und die letzten Jahre im Widerstand, die sie in den Kurdengebieten oben im Norden des Irak verbrachte.

Am Anfang war alles schön

"Vier Mal ist unser Haus vom Regime zerstört worden, vier Mal haben wir es wieder aufgebaut", sagt sie. Als Saddam Hussein endlich gestürzt war, wofür Warda gekämpft hatte all die Jahre, da hat sie sich am Ziel geglaubt. Sie war den Amerikaner dankbar für die Befreiung, und auf die Europäer, auf Gerhard Schröder und Jacques Chirac, war sie furchtbar wütend, "weil die immer vom Frieden geredet haben und doch wissen müssten, dass es mit Saddam keinen Frieden gibt".

Plötzlich also war Saddam weg. "Am Anfang", sagt sie, "war alles so schön." Doch dann hat sie lernen müssen, dass auch ohne Saddam nicht automatisch Frieden einkehrt. Gewiss, dieses Ziel hat sie bis heute nicht aus den Augen verloren. Sie glaubt an den demokratischen Prozess, unerschütterlich.

Sie ist sich sicher, dass ihrem Land eine bessere Zukunft bevorsteht, ganz bestimmt. Doch wenn sie morgens aus dem Haus geht und in ihr Büro fährt oder zu einem Treffen, dann ist sie sich längst nicht mehr sicher, dass sie abends auch wieder heim kehrt zu ihrem Mann und den beiden kleinen Töchtern. "Wir stehen mitten im Kugelhagel, ehrlich", sagt sie. "Und überall kann eine Bombe hochgehen."

Mehr Glück als andere

Pascale Isho Warda lebt im Fadenkreuz des Terrors. Jeder in Bagdad lebt so, weil die Selbstmord-Attentäter überall ihre Sprengsätze zünden - vor den Polizeistationen, am Straßenrand oder auf den Märkten.

Doch Warda gibt ein besonders exponiertes Ziel ab: als Frau, die für die Menschenrechte kämpft, als Christin, die sich für ihre assyrische Volksgruppe einsetzt, und als Politikerin, die bis vor ein paar Wochen als Ministerin amtierte.

Drei Mal ist sie in den vergangenen Monaten auf dem Weg in ihr Ministerium, das in Bagdads streng bewachter Grünen Zone liegt, attackiert worden.

Jedes Mal waren ihre Leibwächter um sie herum, jedes Mal hat sie Glück gehabt, mehr Glück als andere. "Gott scheint mich noch nicht im Himmel haben zu wollen", sagt sie und lacht.

Ein Junge schaut aus seinem Wohnhaus in Falludschah, das US-Soldaten nach der Durchsuchung markiert haben. (Foto: Foto: AFP)

In der von Amerikanern eingesetzten Übergangsregierung war sie bis Anfang Mai für Flüchtlinge zuständig. Ihr korrekter Titel lautete "Ministerin für Flüchtlingsfragen und Immigration", doch der Drang zur Einwanderung ist derzeit wirklich nicht sehr groß im Irak.

Viel eher würde ein Ministerium gegen die Auswanderung gebraucht, doch von der Politik ist der Exodus ohnehin nicht aufzuhalten. Die Elite, die Mittelschicht, die aufgeschreckten Christen - kurzum: alle, die es sich leisten können - verlassen das im Chaos untergehende Land.

"Viele unserer Freunde sind schon gegangen", sagt Warda. "Leider." Von gezielten Drohungen und Angriffen auf Ärzte oder Ingenieure berichtet sie. Ein Mann aus ihrem Dorf ist vor fünf Monaten entführt worden. "Bis heute ist er nicht wieder aufgetaucht. "

Und einer ihrer Bekannten wurde in seinem Haus erschossen. Es war wie eine Hinrichtung. Dennoch, Pascale Isho Warda will nicht weichen. Sie will bleiben, und sie will kämpfen. Doch sie weiß, dass dies seinen Preis hat.

Im Schatten der Bomben

Schließlich ist sie nicht nur eine Funktionärin, die sich dem Land verpflichtet fühlt, sondern auch eine Mutter, die sich um ihre Familie sorgt. "Ich bin keine abgehobene Politikerin, ich bin im Kontakt mit den Leuten geblieben", sagt sie.

Und so steht ihr Leben auch für einen Alltag in Bagdad, von dem die Welt hinter all dem Rauch der Explosionen fast nichts mehr wahrnimmt - zumal sich aus Angst vor Entführungen schon seit einiger Zeit kaum noch Journalisten in die irakische Hauptstadt wagen.

Im Schatten der Bomben also versucht Pascale Isho Warda mit ihren Töchtern, denen sie so hoffnungsvolle Namen gegeben hat, ein "möglichst normales Leben" im Absurden zu leben.

Shlama, das heißt Frieden auf Aramäisch, und Nishma bedeutet leuchtender Stern. Doch die beiden haben es besonders schwer in diesen unfriedlichen, trüben Zeiten.

In die Schule oder in den Kindergarten gehen die Mädchen schon lange nicht mehr. Eine Woche lang waren sie dort, da erhielt die Familie schon Botschaften mit der Drohung, dass es gefährlich werden könnte. Seitdem kommt eine Lehrerin ins Haus.

Das können sich nicht viele leisten in Bagdad, und "es ist besser als nichts", sagt die Mutter. Viel besser aber auch nicht. Denn das Leben ist einsam geworden für die Kinder, ohne Freunde, ohne Abwechslung.

Gar nicht weit weg von ihrem Haus liegt der Firdos-Park. Es ist eine grüne Oase im grauen Häusermeer der Millionenstadt, eine Oase mit Spielplatz. "Aber es ist unmöglich, mit den Kindern dorthin zu gehen", sagt Warda. "Es gibt keine sichere Gegend in Bagdad."

Also bleiben sie zu Hause, wo immer noch schmutziges Wasser aus den Leitungen fließt und wo alle drei Stunden der Strom abgestellt wird. Im Winter war das noch erträglich, doch jetzt kommt der Sommer, und das Leben wird nicht leichter bei 50 Grad im Schatten ohne Klimaanlage.

Mehr als zwei Jahre nach dem Ende des Krieges ist wenig Besserung in Sicht, und natürlich fragt sich auch Warda, wo all das angeblich für den Wiederaufbau bereitgestellte Geld geblieben ist.

"Vielleicht wissen das ja die Amerikaner", sagt sie. In ihrem Ministerium jedenfalls ist fast nichts davon angekommen. Der gesamte Jahresetat lag bei ein paar tausend Dollar. "Davon konnte ich nicht einmal meine Leute bezahlen", klagt sie, "und schon gar keine Projekte oder Programme starten."

"Wer tut es dann?"

Doch in all dem Chaos fahndet sie fast schon besessen nach Zeichen der Hoffnung. Sie glaubt an die bessere Zukunft, weil sie an ihr Land und ihr Volk glauben will. "Nicht das Öl ist unser Reichtum", sagt sie, "sondern die Kraft der Menschen."

Und wenn vielen anderen rings um sie herum auch die Kraft ausgeht, dann vertraut sie immer noch auf ihre eigene. Sie will helfen, ihr Land aufzubauen, und sie hat Pläne im Überfluss. Ein Frauenzentrum will sie gründen und auch traumatisierten Kindern helfen. "Wenn ich es nicht tue, wer tut es dann?", fragt sie.

Neulich, da war sie auf einer Hochzeit eingeladen, und natürlich war des anders als früher. Nicht mehr am Abend wurde gefeiert, sondern aus Sicherheitsgründen schon am frühen Nachmittag, und alles musste sehr schnell gehen.

Doch immerhin, wenn Menschen heiraten, dann geht das Leben auch irgendwie weiter. "Die Leute haben sich entschieden zu leben", sagt sie: "Das ist auch eine Art Widerstand gegen den Terror."

© SZ vom 7.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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