Regierungswahl in der Schweiz:Beben in Bern

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Egal, welchen Ausgang die Wahl der Regierung letztlich nimmt: Mit dem Schweizer Grundkonsens über die politischen Grenzen hinweg ist es vorbei. Das Land ist stattdessen auf dem Weg zu einer Richtungsdemokratie mit Regierungs- und Oppositionsparteien, wie in den Nachbarländern auch.

Gerd Zitzelsberger

Eines der Markenzeichen der Schweiz war bislang ihre politische Stabilität. Jetzt aber hat es in dem fein austarierten Berner Machtgefüge so kräftig gebebt wie nie zuvor.

In zwei Wahlgängen gescheitert: Rechtspopulist Christoph Blocher (Foto: Foto: AFP)

Man muss nicht gleich befürchten, dass die Eidgenossenschaft auseinanderbricht. Doch sie wird sich wandeln: Unabhängig davon, welchen Ausgang die Wahl der Regierung am heutigen Donnerstag nimmt, liegt die Konkordanz, eine Art Superkoalition aller großen Parteien, erst einmal in Scherben. Mit dem Grundkonsens, der die politischen Gegner vereinte, ist es vorbei.

Die Schweiz befindet sich auf dem Weg zu einer Richtungsdemokratie mit Regierungs- und Oppositionsparteien, wie sie in den Nachbarländern üblich ist. Das muss nicht heißen, dass künftig die Regierungen häufig wechseln müssen. Für ihre Nachbarn aber dürfte die Schweiz zu einem schwierigeren Partner werden.

Auf den ersten Blick gab es in Bern schon ähnliche Beben wie das am Mittwoch: Vor vier Jahren wurde erstmals in der jüngeren Geschichte - die Schweizer meinen damit die letzten 135 Jahre - eine amtierende Bundesrätin nicht wiedergewählt. Dass Regierungsmitglieder ihr Amt behalten können, solange sie wollen, steht zwar nicht in der Bundesverfassung, aber es gehörte zu den ungeschriebenen Regeln, die den Eidgenossen heilig sind.

Damals war der Rechtspopulist Christoph Blocher ins Amt gekommen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Blocher, Justizminister und Galionsfigur der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der stärksten Kraft im Parlament, nun seinerseits abtreten muss.

Vor vier Jahren hatten die damaligen Verlierer, die Christdemokraten, sich dem Wahlergebnis gebeugt und waren mit nur einem Vertreter in der Regierung geblieben; die Konkordanz bestand damit fort. Die SVP aber will nun, wenn die Abwahl von Blocher bestätigt wird, aus der Regierung ausscheiden und in die Opposition gehen. Erstmals in der Schweizer Geschichte würde damit die größte Partei nicht mehr der Regierung angehören. Das wäre das Ende der Konkordanz.

Die Entscheidung darüber, wie es weitergeht, liegt zunächst bei einer einzigen, national weitgehend unbekannten SVP-Politikerin aus dem Kanton Graubünden, die gar nicht selbst kandidiert hat. Nimmt die als vergleichsweise liberal geltende Politikerin an diesem Donnerstag ihre Wahl an, bleibt Blocher vor der Tür und seine Partei würde die neue Ministerin ausschließen. Das würde zugleich die Spaltung der SVP bedeuten. Lehnt die frischgebackene Bundesrätin dagegen ihre Wahl ab, ist alles offen. Christoph Blocher muss dann befürchten, dass er wieder einen Gegenkandidaten bekommt - und erneut verliert. Selbst wenn er nach einer solchen demütigenden Prozedur doch noch in die Regierung einziehen würde, bekäme das politische System der Schweiz eine neue Kontur. Denn diesen Wahl-Krimi wird kein Schweizer Politiker so schnell vergessen.

Formell bedeutet Konkordanz, dass alle großen Parteien in etwa entsprechend ihren Wähleranteilen in der Regierung vertreten sind. De facto bedeutet sie mehr: Einen Grundkonsens, nach Lösungen zu suchen, mit denen jede Minderheit leben kann. Und die Schweiz setzt sich eben aus Minderheiten zusammen. Diesen Grundkonsens aber haben Blocher und die SVP in den vergangenen Jahren und besonders im Wahlkampf im vergangenen Herbst aufgekündigt. Wie ihr Wahlergebnis zeigt, ist die SVP damit gut gefahren. Immer mehr Eidgenossen wünschen sich, dass die Politik die Probleme - dazu gehört auch die Zuwanderungswelle aus den Nachbarstaaten - nicht zukleistert, sondern löst.

Feststeht: Die Regierung in Bern wird weniger handlungsfähig sein, wenn sie nicht nur auf Volksabstimmungen Rücksicht nehmen muss, sondern ebenfalls auf die Widerstände einer parlamentarischen Opposition. Das wird auch die Europäische Union zu spüren bekommen.

© SZ vom 13.12.2007/schä - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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