Regierungskrise in Polen:Noch sind die Kaczynskis nicht verloren

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Koalitionskrach, Misstrauensvotum, Parlamentsauflösung - Polens Regierung wackelt und Europa freut sich heimlich. Doch die Kaczynski-Brüder haben noch ein paar Trümpfe in der Hand.

Kai-Olaf Lang

Polens Regierungsgarde scheint tief in der Tinte zu sitzen:

Kai-Olaf Lang ist Experte für die Außen- und Sicherheitspolitik Polens. Er forscht und arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. (Foto: Foto: privat)

Mit dem Rauswurf des unberechenbaren Rabauken Andrzej Lepper (Vizepremier und Vorsitzender des Koalitionspartners, Anmerkung der Redaktion) Premier Jarosaw Kaczynski die parlamentarische Mehrheit für seine Regierungskoalition abhanden kommen. Außerdem wird seit Wochen das Land von Ärztestreiks und Protesten wütender Krankenschwestern heimgesucht. Lehrer und Bergleute machen ihrem Unmut ebenfalls Luft.

Dazu kommt, dass Mitschnitte des Wochenmagazins Wprost belegen sollen, dass der Chef des einflussreichen Radio Maryja Tadeusz Rydzyk den Staatspräsidenten Lech Kaczynski und seine Frau übel beleidigt hat. Es drohen ernste Zwistigkeiten zwischen den konservativen Zwillingen und ihrem bisher so wichtigen Bundesgenossen aus dem katholisch-traditionalistischen Bereich. Es sieht wenig erfreulich aus für die Kaczynski-Brüder.

Trotzdem: Wer jetzt das nahe Ende der Kaczynski-Ära aufziehen sieht, kann sich täuschen. Die Trennung von Lepper war keine Verzweiflungstat, sondern ein Befreiungsschlag. Der allfällige Konflikt mit Radio Maryja wird dadurch in den Hintergrund gedrängt, Streitigkeiten in der Kaczynski-Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) werden ebenso überlagert wie die nach mehr Lohn rufenden Beschäftigen in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Sektors.

Keine Paralyse der Regierungsarbeit

Vor allem aber hält Warschaus starker Mann Jarosław Kaczynski ein paar Stichkarten in der Hand. Die Opposition wird zwar versuchen, der Regierung überall Knüppel zwischen die Beine zu werfen, doch eine Paralyse der Regierungsarbeit wird nicht von heute auf morgen möglich sein.

In der Zwischenzeit wird die PiS alles daran setzen, postenversessene Abgeordnete der Lepper-Partei Samoobrona (SO) oder der bisher oppositionellen Bauernpartei PSL auf ihre Seite zu ziehen, um vielleicht doch noch eine neue Mehrheit im Parlament zusammenzuzimmern.

Sollte dieses Vorhaben nicht klappen und es zu vorgezogenen Wahlen zur Volksvertretung kommen, ist keineswegs eine vernichtende Niederlage für die Kaczynski-Brüder vorprogrammiert.

Da eine Parlamentsauflösung gegen die PiS (die mehr als ein Drittel der Sitze im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, kontrolliert) und den von ihr gestellten Staatspräsidenten nicht möglich ist, kann sich das Regierungslager den Zeitpunkt von Neuwahlen gewissermaßen selbst aussuchen.

Wenig wohlwollendes Staatsoberhaupt

Bei geschicktem Timing, einem offensiven Wahlkampf und unter Verweis auf das robuste Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosenquoten kann die PiS ihrem größten Kontrahenten, der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) durchaus Paroli bieten.

Denn ungeachtet mancher Skandale und eines ausgesprochenen Negativimages der Zwillinge, ist die PiS in den Umfragen äußerst stabil und liegt nur wenige Prozentpunkte hinter der PO. Da die PiS in derlei Erhebungen bisher immer abschnitt als bei den tatsächlichen Urnengängen, kann von einem etwa gleich starken Potential von PiS und PO ausgegangen werden.

Da aus heutiger Sicht außer den beiden Parteien nur noch das Bündnis aus Exkommunisten und Liberalen gute Chancen hat, in eine neues Parlament einzuziehen, bedeutet das, dass es für einen möglichen Wahlsieger PO schwer werden wird. Und zwar nicht nur deswegen, weil man es in Gestalt von Lech Kaczynski mit einem wenig wohlwollenden Staatsoberhaupt zu tun haben würde.

Neuwahl als Richtungsentscheidung

Vor allem würde sich die Bürgerplattform (im Rahmen einer Koalition oder auf dem Weg der Tolerierung) mit der PiS einlassen müssen - oder sie müsste einen ebenso riskanten wie umstrittenen Deal mit den postkommunistischen Sozialdemokraten eingehen. Letztere Variante würde der PiS frühzeitig Wahlkampfmunition für die Präsidentschaftswahlen von 2010 liefern, die dann das Gespenst eines Wiederauflebens exkommunistischer Netzwerke an die Wand malen würde.

Bereits jetzt stilisiert Jaroslaw Kaczynski eventuelle Neuwahlen zu einer Richtungsentscheidung zwischen einer Erneuerung des Landes und einer Rückkehr des Korruptionssumpfes der sozialdemokratischen Regierungen von vor 2005 . So oder so wird das Regierungslager in den nächsten Wochen und Monaten das tun, was es besonders gut kann: polarisieren und antagonisieren.

Dies verheißt wenig Gutes für Polens Verhalten in der Europäischen Union. Denn durch die jetzige Krise wird die Regierung (und in deren Sog auch die Opposition) noch selbstbezogener agieren, Polen wird außen- und europapolitisch noch aggressiver auftreten.

Dies wird sich negativ auswirken für den Fortgang der Regierungskonferenz, die den "Reformvertrag" der Union rasch unter Dach und Fach bringen soll. Auch bei den Diskussionen um das von der polnischen Regierung einstweilen blockierte Verhandlungsmandat für ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland wird Warschau wenig flexibel agieren wollen.

Und schließlich werden die Kaczynskis nicht unversucht lassen, um bei kontroversen deutsch-polnische Themen innenpolitische Terraingewinnen zu erzielen.

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