Regierungsbildung in Belgien:Durchbruch nach 15 Monaten

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Seit 459 Tagen ist Belgien ohne Regierung - jetzt sind sich die Parteien nach einer nächtlichen Marathonsitzung erstmals näher gekommen: Es sei eine "erste, entscheidende Etappe erreicht", teilte Verhandlungsführer Di Rupo mit. Der kommissarische Regierungschef Leterme hatte am Vortag den Druck auf die zerstrittenen Parteien erhöht.

Nach 15 Monaten zeichnet sich in der Regierungskrise in Belgien erstmals eine überraschende Wende an: Die Vorsitzenden von insgesamt acht Parteien der Niederländisch oder Französisch sprechenden Belgier einigten sich in der Nacht auf Donnerstag in der umstrittensten politischen Frage des Landes auf einen Kompromiss. Dies erklärte der frankophone Sozialdemokrat Elio di Rupo in Brüssel. Im Kern dreht sich der Streit vor allem um das Wahlrecht im Umland der belgischen Hauptstadt.

Belgiens provisorische Regierung: Seit 15 Monaten leitet Premier Yves Leterme das Land kommissarisch. Am Vortag kündigte er an, dass er spätestens zum Jahresende abtreten und zur OECD wechseln wird - damit war der Druck auf die verhandelnden Parteien weiter gestiegen. (Foto: AFP)

Di Rupo war von König Albert II. mit der Suche nach einer Regierungsmehrheit beauftragt worden. "Obwohl die Arbeit noch lange nicht beendet ist, bedeutet doch unsere heutige Einigung (...) einen wichtigen Schritt vorwärts", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Parteivorsitzenden. Die Verhandlungen sollten über andere noch strittige Fragen fortgesetzt werden, vor allem über eine Neuordnung der Finanzierung der Regionen und Veränderungen der Kompetenzen.

Seit den Parlamentswahlen vom Juni 2010 war eine Regierungsbildung in Belgien bislang an dem erbitterten Streit der Parteien um eine Reform des belgischen Staates gescheitert. Dabei geht es vor allem darum zu klären, welche Rechte die Landesteile Flandern und die Wallonie künftig haben werden und welche Befugnisse bei der föderalen Regierung in Brüssel verbleibt. Zudem sind die Finanzierung der gemeinsamen Hauptstadt Brüssel und die Rechte der Französisch sprechenden Bürger in bestimmten Teilen des flämischen Umlandes der Hauptstadt ungeklärt.

Deswegen amtierte der bereits im April 2010 zurückgetretene Premierminister Yves Leterme bis jetzt geschäftsführend weiter. Bisher gibt es in Belgien seit 459 Tagen keine gewählte Regierung mehr. Am Vortag hatte Leterme den Druck auf die zerstrittenen Parteien erhöht: Er kündigte in Brüssel an, dass er als stellvertretender Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) nach Paris gehen werde. Der Wechsel ist spätestens für Ende des Jahres geplant. Somit stünde Belgien bald ohne politische Führung da.

Brüssel und Umland sollen getrennt werden

Details des Kompromisses über eine Spaltung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) wurden offiziell zunächst nicht mitgeteilt. Allerdings berichteten Teilnehmer, dass Brüssel und das Umland nun getrennt werden sollen. Doch können französischsprachige Bürger in sechs flandrischen Gemeinden mit besonderem Status auch weiterhin ihre Stimmen auf frankophonen Wahllisten abgeben. Bisher bildet die offiziell zweisprachige Hauptstadt Brüssel gemeinsam mit dem Umland, das im Niederländisch sprechenden Flandern liegt, einen Wahlkreis.

An der Einigung sind alle im Parlament vertretenen Parteien außer den flämischen Nationalisten (N-VA) und den flämischen Rechtsradikalen (Vlaams Belang) beteiligt. Die von Bart de Wever geführte N-VA war bei der Wahl vom Juni 2010 stärkste politische Kraft Belgiens geworden. De Wever, der einen eigenen Staat Flandern will, hatte bei den Verhandlungen jedoch monatelang jeden Kompromissansatz blockiert.

Di Rupo hatte vor den zehnstündigen Beratungen von der "letzten Chance" auf eine Einigung gesprochen. Er berichtete noch in der Nacht dem belgischen König über den Durchbruch bei der Verhandlungen.

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