Regierungsbildung:Die neuen Leiden der alten SPD

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Führt Martin Schulz seine Partei doch noch in die große Koalition? Plötzlich gibt es eine Chance dafür. Ob das verhasste Bündnis mit Angela Merkel zustande kommt, sollen die Mitglieder entscheiden.

Von Christoph Hickmann

Vor vier Jahren gelang dem damaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel sein politisches Meisterstück: Er führte die Sozialdemokraten nach einer schweren Wahlniederlage gegen harten Widerstand in die bei vielen Genossen regelrecht verhasste große Koalition. Seit der Nacht zum Freitag stellt sich die Frage, ob ein solches Meisterstück auch seinem Nachfolger Martin Schulz gelingen kann. Allerdings unter noch deutlich schwierigeren Voraussetzungen. Der Ausgang: offen.

Mehr als acht Stunden lang hatte die SPD-Führung vom späten Donnerstagnachmittag an zusammengesessen. Zuvor hatte Schulz sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier getroffen. Nun berieten die führenden Genossen, wie sie mit dessen Appell umgehen sollten, sich Gesprächen mit den anderen Parteien nicht zu verweigern. Dass die SPD nicht bei ihrer harten Haltung vom Wahlabend würde bleiben können, hatte sich schon seit Tagen abgezeichnet: Zu groß war der öffentliche Druck, zu ausgeprägt waren die internen Bedenken gegen Neuwahlen - die der Bundespräsident offenbar ohnehin nicht will. Andererseits hatte der Parteivorstand das Nein zur großen Koalition am Montag noch einmal bekräftigt. In ihrer Marathonsitzung ging die Parteispitze am Donnerstagabend sämtliche Optionen durch - und einigte sich auf den Weg, den sie nun beschreiten will.

Demnach soll Schulz am Donnerstag kommender Woche zunächst zu einem weiteren Gespräch mit dem Bundespräsidenten erscheinen - diesmal gemeinsam mit den Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer. Auf dieses Treffen würden weitere Gespräche zwischen den Parteien folgen, auf deren Basis die SPD-Spitze den Parteitag in knapp zwei Wochen um das Mandat für ernsthafte Gespräche bitten würde. Sollte dies mit weiteren Zwischenschritten am Ende zu einem Koalitionsvertrag führen, könnten darüber die Mitglieder entscheiden - so wie Ende 2013, als sich die Genossen mit drei Vierteln der Stimmen für die große Koalition entschieden. Allerdings gibt es auch Stimmen, die fordern, bereits in einem früheren Stadium die Mitglieder zu beteiligen, also etwa über die Aufnahme von Gesprächen abstimmen zu lassen. Unabhängig vom Zeitpunkt sollen die Mitglieder aber in jedem Fall über eine etwaige Regierungsbeteiligung abstimmen.

Allerdings sind die Widerstände diesmal noch deutlich größer. Bei der Bundestagswahl 2013 hatte die SPD unter dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück immerhin 25,7 Prozent geholt und sich damit im Vergleich zu 2009 verbessert. Diesmal schleppt sie ein Ergebnis von 20,5 Prozent mit sich herum, das schlechteste seit Bestehen der Republik. Und sie hat nach vier weiteren Jahren mit Angela Merkel ein weiteres Mal die Erfahrung gemacht, dass erfolgreiche Regierungsarbeit sich für die Sozialdemokratie offenbar nicht auszahlt. Zudem gibt es ein Glaubwürdigkeitsproblem: Anders als vor vier Jahren hat sich die SPD noch am Wahlabend eindeutig darauf festgelegt, diesmal in die Opposition zu gehen. Und schließlich verfügt Parteichef Schulz nicht über das strategische Geschick seines Vorgängers Gabriel.

All dies führt dazu, dass eine Neuauflage der großen Koalition keineswegs ausgemachte Sache ist. Schulz betonte am Freitag, es gebe "keinen Automatismus in irgendeine Richtung". Eine Minderheitsregierung wird von den allermeisten Genossen zwar als unrealistisch angesehen und nur noch pro forma als Option angeführt. Doch die große Koalition ist nicht nur an der Basis unbeliebt. Auch an der Parteispitze gibt es nach wie vor Gegner.

Nun kommt es darauf an, welche Zugeständnisse Schulz bei der Union herausholen kann. Vor ihm liegt, nach diversen Fehlern in den vergangenen Wochen, seine große Bewährungsprobe. Für den Moment ist er gestärkt: In der Sitzung der Parteispitze soll ihn niemand infrage gestellt haben - stattdessen versicherten mehrere Teilnehmer, dass sich alle loyal hinter dem Chef versammelt hätten. Damit dürfte Schulz' Wiederwahl beim Parteitag endgültig sicher sein. Und sollte er, der stets versichert hat, nie in ein Kabinett Merkel einzutreten, das Meisterstück Sigmar Gabriels unter verschärften Bedingungen wiederholen, säße er womöglich fester im Sattel denn je.

Doch der Weg ist weit. Am Freitagabend begab er sich erst einmal zu den härtesten Gegnern eines schwarz-roten Bündnisses und redete beim Juso-Bundeskongress in Saarbrücken. Noch bevor Schulz eintraf, hatte der Juso-Bundesvorstand bereits einen Antrag vorgelegt, beim Nein zur großen Koalition zu bleiben. Dennoch warb der Parteichef dafür, zumindest offen in die Gespräche zu gehen: Es gehe darum, das Leben der Menschen in Deutschland zu verbessern. Das sei in der Opposition nicht ganz so einfach. Doch die Jusos blieben hart. Ihr neu gewählter Vorsitzender Kevin Kühnert antwortete, eine große Koalition sei "ganz großer Mist".

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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