Reform-Modelle:Für die Schublade und für die politische Arena

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Vom Stufentarif des Gunnar Uldall bis zu Paul Kirchhofs Einheitssteuer: Die wichtigsten Reform-Modelle der vergangenen zehn Jahre im Vergleich.

Von Marc Beise

(SZ vom 12. November 2003) "Systemveränderer"wurde er genannt und "Traumtänzer", und mancher war voll des Spotts über einen weltfremden CDU-Bundestagsabgeordneten namens Gunnar Uldall, der dem Land ein neues Steuerrecht geben wollte. Das war im Jahr 1996. Heute ist Uldall Wirtschaftssenator in Hamburg und erkennt von ferne mit später Genugtuung, aber auch mit Wehmut, dass seine "Phantastereien" salonfähig geworden sind. Eine Chronologie der Reformdiskussion.

Spott für Uldall

8 - 18 - 28: Der linear-progressive (also stetig ansteigende) Tarif bei der Lohn- und Einkommensteuer war dem CDU-Abgeordneten Gunnar Uldall schon lange ein Dorn im Auge, weshalb er im Juni 1994 erstmals einen Stufentarif präsentierte: Drei niedrige Steuersätze je nach Höhe des zu versteuernden Einkommens und dafür der Wegfall fast aller Freibeträge und sonstigen Steuerprivilegien. Uldalls Pech: Sein Einfluss als Wirtschaftssprecher war begrenzt, denn die für die Steuerpolitik wichtigen Positionen in Regierung und Unionsfraktion waren mit CSU-Politikern besetzt - die sich bis heute nicht mit einem Stufenmodell anfreunden können.

Bareis in die Schublade

Nicht besser erging es dem Steuerwissenschaftler Peter Bareis von der Universität Hohenheim. Eine Kommission unter seinem Vorsitz erarbeitete ein später viel beachtetes Konzept mit 85 Vorschlägen zur Streichung von Steuervergünstigungen. "Völlig weltfremd", kanzelte Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) die Experten ab und pfefferte das Gutachten im November 1994 in die Schublade.

Halbe Sachen mit Waigel

Jahre später erst begriff Waigel seinen Fehler und versuchte in der Spätphase der Ära Kohl eine große Steuerreform umzusetzen. Die "Petersberger Steuervorschläge" sollten die Steuersätze deutlich senken, dafür einige Steuervergünstigungen streichen oder kürzen, sie blieben aber weit hinter Uldall oder Bareis zurück. Der wahlkämpfenden SPD unter Oskar Lafontaine war selbst das zu viel, die Reform scheiterte 1998 im Bundesrat.

Einfachsteuer à la Rose

In der Wissenschaft, vor allem unter Ökonomen, wird seit langem eine Totalreform favorisiert, die nach Verwendung des Einkommens unterscheidet. So hat der Heidelberger Wirtschaftswissenschaftler Manfred Rose zusammen mit Kollegen ein Modell vorgelegt (und etwa in Kroatien teilweise umsetzen können), wonach vor allem der Konsum steuerbelastet wird. Renditen werden nur oberhalb der Inflationsrate versteuert und Aufwendungen für die Altersvorsorge freigestellt.

Konsumsteuer à la Mitschke

Eine sehr weitgehende Konsumsteuer findet sich bei dem Frankfurter Ökonomen Joachim Mitschke, der dafür kürzlich ein Preisgeld in Höhe von einer halben Million Euro einstreichen durfte: Er will den Teil des Einkommens zunächst steuerfrei lassen, der investiert, gespart oder für Fort- und Weiterbildung verwendet wird. Gewinne von Freiberuflern und Unternehmen würden also erst bei Verwendung oder Ausschüttung besteuert.

Einheitssteuer à la Kirchhof

Eine Differenzierung je nach Einkommen lehnt der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof strikt ab. Sein Steuermodell, das er in Heidelberg mit Unterstützung von fünf Bundesländern entwickelt hat, fasst alle Einkunftsarten der Einkommensteuer zusammen und lässt darin auch die Körperschaftsteuer aufgehen. Arbeitnehmer, Selbstständige und Unternehmen werden gleich behandelt, der Steuersatz liegt einheitlich bei 25 Prozent.

Abstufungen gibt es aber durch unterschiedliche Abstriche von der Bemessungsgrundlage, so dass es sich faktisch um einen Stufentarif handelt. Im Gegenzug will Kirchhof praktisch alle Steuervergünstigungen und -gestaltungsmöglichkeiten auch für Unternehmen streichen. So sollen sie etwa Verluste nicht mehr mit Vorjahresgewinnen verrechnen dürfen.

Konkurrenz aus Köln

Stärker am geltenden Recht orientiert sich der Kölner Entwurf einer Gruppe um den Steuerrechtsprofessor und Lehrbuchautor Joachim Lang. Er schlägt fünf Steuer-Stufen zwischen 15 und 35 Prozent vor. Zwar will auch er fast alle Steuervergünstigungen streichen, Sparen für das Alter soll aber steuerfrei gestellt werden. Scheingewinne auf Sparbücher und Immobilien werden nicht besteuert.

Der Merz-Entwurf

Als erster Spitzenpolitiker hat sich CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz, langjähriger Steuerexperte seiner Partei, mit einem durchformulierten Modell aus der Deckung gewagt. Dabei stützt er sich sowohl auf Kirchhof als auch auf den "Kölner Entwurf". Auch Merz will viele Steuervergünstigungen streichen, etwa Pendlerpauschale und Sparerfreibetrag, um niedrige Steuersätze zu ermöglichen: 12 - 24 - 36 lautet sein Stufentarif. Dass er mit einem Spitzensatz von 36 Prozent deutlich über Kirchhof liegt, hat seinen Grund: Merz will den Unternehmen mehr Gestaltungsmöglichkeiten retten.

Bayerischer Sonderweg

Gar nicht begeistert von Merz und Kirchhof ist die CSU. Derzeit wird in Bayern ein eigener Steuerentwurf erarbeitet. Dieser soll sich wesentlich stärker am geltenden Recht orientieren als die CDU und beispielsweise manche den Bürgern oder Unternehmen lieb gewordene Steuervergünstigung bewahren.

Rot-Grün in Warteposition

In der Koalition galt bisher Eichels Linie, zunächst ganz auf ein Vorziehen der bereits beschlossenen Steuersenkung zu setzen. Nun ist Bereitschaft zu erkennen, über eine große Reform zu verhandeln.

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