Reaktionen aus dem Ausland:"Weder gesunde Regierung noch gesunde Opposition"

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Im Ausland ist das unerwartete Ergebnis der Bundestagswahl unterschiedlich aufgenommen worden. Während konservative Politiker und Zeitungen "schwierige Zeiten" für Deutschland erwarten, zollten sozialdemokratische Politiker der Leistung des Kanzlers Respekt.

Der schwedische Ministerpräsident Göran Persson hat angesichts des Thrillers bei der Bundestagswahl Verständnis für den Anspruch von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf das Kanzleramt geäußert. Er freue sich, dass Schröder den Anspruch auf die Kanzlerschaft erhoben habe, sagte der Sozialdemokrat Persson der schwedischen Nachrichtenagentur TT am späten Sonntagabend.

Angesichts dieses Ergebnisses scheine dies "natürlich", fügte der schwedische Regierungschef hinzu. Der Wind habe sich zugunsten von Schröder gedreht, dem offenbar auch auf der Rechten großes Vertrauen entgegengebracht werde. Das Ergebnis der CDU/CSU bezeichnete Persson als "katastrophal" - zumal in den Meinungsumfragen vor der Wahl der Sieg der Union als sicher gegolten habe. Doch die deutschen Wähler hätten dem von CDU/CSU propagierten "Systemwechsel" eine Absage erteilt.

Barroso: Deutschland braucht schnell eine stabile Regierung

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat die Parteien in Deutschland aufgerufen, möglichst schnell eine stabile Regierung zu bilden. "Ich denke als Präsident der Europäischen Kommission habe ich die Pflicht, die führenden deutschen Politiker im Namen der europäischen Institutionen aufzufordern, so schnell wie möglich eine für Europa stabile Lösung zu finden", sagte Barroso am Montag im EU-Parlament in Brüssel.

Der tschechische Regierungschef Jiri Paroubek sprach von einem "bemerkenswerten persönlichen Erfolg" von Bundeskanzler Gerhard Schröder gesprochen. Der Nachrichtenagentur AFP sagte der Sozialdemokrat Paroubek, Schröder sei ein "großer Kämpfer mit einem außergewöhnlichen Charisma". Würde der Wahlkampf noch zwei Wochen fortgesetzt, würde der Bundeskanzler sicherlich siegen.

Als wahrscheinlichsten Ausgang der Bundestagswahl bezeichnete Paroubek eine große Koalition mit einem sozialdemokratisch geführten Außenministerium oder die "derzeitige Koalition von SPD und Grünen", von außen gestützt durch die Linkspartei. In beiden Fällen sei "das ausgezeichnete Niveau der tschechisch-deutschen Beziehungen gewährleistet".

Paris: Deutsch-französisches Paar bleibt stabil

Deutschland und Frankreich werden nach den Worten der Pariser Europaministerin Catherine Colonna auch nach der Bundestagswahl gemeinsam der Motor Europas sein. Die "starken und engen Beziehungen" zwischen Berlin und Paris reichten über politische Wechsel hinaus, sagte Colonna am Sonntag in Paris zum Ausgang der Bundestagswahl. Es seien unabhängig von der Zusammensetzung von Regierungen.

"Unsere Länder haben ein Treueverhältnis: Treue zwischen unseren Ländern und Treue zu den europäischen Idealen", sagte Colonna. "Deswegen ist das Paar so solide." Nun sei es an den Deutschen, "die Form ihrer neuen Regierung und ihre Richtung zu wählen". Zuvor hatte Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie erklärt, der Ausgang der Bundestagswahl habe eine radikalliberale Politik unmöglich gemacht. Folgen für das deutsch-französische Verhältnis erwarte sie nicht.

Fini: Ergebnis ist Problem für Deutschland

Der italienische Außenminister Gianfranco Fini sieht den Ausgang der Bundestagswahl als Problem für die Zukunft Deutschlands: "Aus der Wahl ergibt sich ein unsicheres politisches Bild mit einer Instabilität, die dem Land sicher nicht helfen wird", sagte Fini am Sonntagabend.

Weder gesunde Opposition noch gesunde Regierung

Der frühere polnische Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa sieht im Bundestagswahlergebnis eine Komplikation der politischen Lage in Deutschland. Er habe mit einem deutlicheren Sieg der Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel gerechnet. Die Situation, die sich nun abzeichne, sei "weder eine gesunde Opposition noch eine gesunde Regierung", sagte er der polnischen Nachrichtenagentur PAP.

Deutschland sei der wichtigste Partner Polens, sagte er zur Bedeutung der Wahlen im Nachbarland. "Wenn es bei ihnen besser läuft, gilt das auch für uns." Das bisher absehbare Ergebnis habe die Lage allerdings kompliziert, meinte Walesa. Dennoch zeigte er sich zuversichtlich. "Die Deutschen konnten sich immer untereinander verständigen, also habe ich die Hoffnung, dass sie sich einigen."

Wall Street Journal: Der "kranke Mann Europas" bleibt bettlägerig

Das Wall Street Journal kommentiert den Ausgang der Bundestagswahl unter der deutschsprachigen Überschrift "Der Stillstand": "Es war ein schlechtes Omen, als Angela Merkel, die Kandidatin der konservativen CDU, den Rolling-Stones-Song "Angie" zu ihrem Wahlkampflied wählte. In Wirklichkeit ist es ein Lied über ein Scheitern.

"Alle Träume, die uns so viel bedeuteten, scheinen sich in Rauch aufzulösen", heißt es in dem Lied - und das ist ziemlich genau das, was der CDU bei der Wahl gestern widerfuhr, als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der in den vergangenen sieben Jahren nach Art eines deutschen Bill Clinton Kanzler war, ein bemerkenswertes Comeback schaffte.

Das verworrene Ergebnis, bei dem keine der größeren Parteien eine stabile Mehrheit zustande bringen kann, bedeutet, dass Deutschland in der nächsten Zeit seinen schwerfälligen Sozialstaat nicht entschlossen reformieren wird, der zu einer Arbeitslosenrate von elf Prozent und einem Null-Wachstum beigetragen hat. Das wird nicht gut für die Welt sein. Deutschland, die drittgrößte Wirtschaft der Welt, macht 30 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU aus. Der "kranke Mann Europas" wird wahrscheinlich noch einige Zeit bettlägerig bleiben."

Zum Ausgang der Bundestagswahl meint die britische konservative Zeitung The Times: "Die hart umkämpfte Bundestagswahl scheint praktisch in einem Unentschieden zu enden - für Reformen wohl das denkbar schlechteste Ergebnis. Angela Merkel hat nach ihrem von Fehlern und hölzerner Ängstlichkeit geprägten Wahlkampf den anfänglich großen Vorsprung ihrer oppositionellen Christdemokraten verschenkt und endete fast gleichauf mit Gerhard Schröder. Nach drei Jahren ökonomischer Stagnation und einer wilden Außenpolitik ist er unverdientermaßen noch einmal davon gekommen.

Es ist fraglich, ob eine von Frau Merkel geführte Regierung nach ihrer Wahlkampfleistung die nötige Autorität oder Glaubwürdigkeit aufbringen würde. Wenn Schröder ein wenig für Prinzipien übrig hat, wird er seine Partei in eine Partnerschaft mit ihr führen. Vom linken Flügel wird er einen anderen Ratschlag hören. Ein uneiniges Deutschland begibt sich auf gefährliches Terrain."

Europa als Verlierer

Ähnlicher Meinung ist die britische konservative Zeitung The Daily Telegraph: "Die deutschen Wähler haben die Chance für Reformen verpasst, die ihnen die Christdemokraten unter Angela Merkel geboten haben. Nachdem sie Gerhard Schröders Sozialdemokraten in einer Reihe von Landtagswahlen und der Europawahl gnadenlos abgestraft hatten, schreckten sie davor zurück, den Konservativen den Hauptpreis zuzuerkennen, die Gelegenheit zu einer Regierung zusammen mit den liberalen Freien Demokraten.

Weil die schwarz-gelbe Partnerschaft nicht zustande kommt, wird es bestenfalls wenige Fortschritte bei den bescheidenen Reformen aus Schröders zweiter Amtszeit geben. Das wiederum wird Reformen in Ländern wie Frankreich und Italien verlangsamen. Ganz Europa ist der Verlierer dieses absolut unbefriedigenden Wahlausgangs."

Den Wahlausgang in Deutschland und dessen Bedeutung für Bundeskanzler Gerhard Schröder kommentiert die römische Zeitung Il Messaggero: "Es bedurfte des Mutes eines Minensuchers, der Abgebrühtheit eines Chirurgen, der Dreistigkeit eines Schauspielers. Alle diese drei Dinge hatte Gerhard Schröder. Und auch - das kann man jetzt sagen - die Geschicklichkeit eines großen Politikers. An der Spitze einer linken Regierung, die eine Politik der Kürzungen betreibt und die als sicherer Verlierer gehandelt wurde, hat er alles riskiert. Und viel gewonnen."

Le Figaro: Deutschland scheint unregierbar zu sein

Die konservative französische Tageszeitung Le Figaro schreibt über das Wahlergebnis in Deutschland: "Alles zeigt, dass man sich in Richtung auf eine große Koalition hinbewegt, eine Art Kohabitation auf Deutsch, eine Verbindung der CDU von Angela Merkel und der SPD von Gerhard Schröder.

Eine solche Lösung lässt eine handlungsunfähige Regierung befürchten. Von dem Wahlergebnis hat man eine Beschleunigung der Reformen in Europa erwartet, mit Ansteckungseffekt auf die Nachbarländer und besonders auf Frankreich."

Die linksliberale griechische Tageszeitung Eleftherotypia titelt zum Ausgang der Bundestagswahl: "Angela "Thatcher" erschreckt die Deutschen." Die Zeitung meint weiter: "Gerhard Schröder gelang es zum zweiten Mal - entgegen allen Umfragen und Analysen -, fast zeitgleich mit der CDU ins Ziel zu kommen. Doch niemand hat die (parlamentarische) Kraft, allein zu handeln. Deutschland und damit auch Europa kommt in eine unsicheren Phase, die lange andauern wird."

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