RAF-Selbstmordplan in Stammheim:Was wusste der Geheimdienst?

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Geheimdienst und Staatsschutz wussten im Herbst 1977 möglicherweise, dass sich mehrere RAF-Häftlinge umbringen wollten - verhindert haben sie es nicht.

Beamte des Staatsschutzes und verschiedener Geheimdienste haben möglicherweise die Verabredung der RAF-Führung zum kollektiven Selbstmord im Herbst 1977 über Wanzen mitgehört. Diesen Verdacht legen 30 Jahre lang geheimgehaltene Dokumente und Zeugenaussagen nahe, die Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust und Spiegel-TV-Autor Helmar Büchel in mehr als zweijährigen Recherchen zusammengetragen haben.

Die RAF-Anführer Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader (von links) brachten sich in Stammheim um. (Foto: Foto: AP)

Ihre Erkenntnisse sind sowohl Teil der zweiteiligen NDR-Dokumentation "Die RAF", die am Sonntag und Montag in der ARD ausgestrahlt wird, als auch der neuen Spiegel-Titelgeschichte "Die Nacht von Stammheim".

Wichtigstes Indiz ist der Einsatzkalender der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg vom 18. Oktober 1977, dem Tag, an dem sich Andreas Baader und Jan-Carl Raspe im sogenannten Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim mit eingeschmuggelten Pistolen erschossen und sich Gudrun Ensslin am Fenstergitter ihrer Zelle erhängte.

Die ominöse "Sondermaßnahme"

In diesem Einsatzkalender wurden alle ein- und ausgehenden Meldungen der sogenannten LKA-Abteilung 8 registriert, beginnend mit der Todesnachricht, die den Abteilungsleiter um 8:15 Uhr erreichte.

Um 10:21 Uhr weist das Protokoll aus, dass ein Staatsschutzbeamter die Beamten, die für eine "Sondermaßnahme" eingesetzt seien, von den Selbstmorden verständigt und sie angewiesen habe, "Erkenntnisse aus ihrem Bereich, die im Zusammenhang mit dem Vorfall in Stammheim stehen, sofort an die Abteilung 8 weiterzugeben".

Die Sondermaßnahme Stammheim war die Abhöraktion

Der damalige Leiter der Staatsschutzabteilung, Hans Kollischon, bestätigte den Autoren im Gespräch, dass die RAF-Führer seit März 1975 von seinen Beamten mehrfach abgehört worden sei. Kollischon wörtlich: "Es gab nur eine Sondermaßnahme Stammheim und das war die Abhöraktion."

Er könne sich zwar nicht mehr im Detail erinnern, zu welchem Zeitpunkt der Lauscheinsatz beendet worden sei, allerdings habe man während der Schleyer-Entführung alles versucht, Hinweise von den Inhaftierten zu erhalten.

Der Staatsschutz hörte die RAF-Häftlinge in Stammheim ab, um mehr über den Aufenthaltsort des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer zu erfahren. (Foto: Foto: AP)

Kollischon: "Wir wären doch verrückt gewesen, wenn wir nicht alles versucht hätten, um das Leben Schleyers zu retten." Eine Stellungnahme vor der Kamera lehnte Kollischon ab. An der Aktion beteiligte Staatsschützer, die anonym bleiben wollen, haben sich gegenüber den Filmemachern offenbart, obwohl die Lauschaktionen auch heute noch als geheim und teilweise sogar als streng geheim eingestuft sind.

Isolierte Gefangene planen kollektiven Selbstmord

Der Eintrag im Einsatzkalender legt nahe, dass die Lauschaktion der "Sondermaßnahme Stammheim" auch in der Todesnacht der Häftlinge lief. Die - während der sogenannten Kontaktsperre angeblich voneinander isolierten - Gefangenen hatten den kollektiven Selbstmord verabredet.

Die Möglichkeit dazu bot ein ausgeklügeltes Kommunikationssystem, das über die vorhandenen Stromleitungen lief. "Die hatten sich ein System in HiFi-Qualität gebaut", sagt Otto Bohner, der Gutachter der Bundespost, der die Anlage nach den Selbstmorden untersucht hatte.

Schon im März 1977 war bekannt und später von den Behörden auch bestätigt worden, dass Zellen des siebten Stocks in Stammheim von Technikern des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes verwanzt worden waren. Allerdings, so wurde damals behauptet, seien in begrenzten Zeiträumen "nur" Gespräche von Gefangenen mit ihren Verteidigern in den Besucherzellen abgehört worden, nicht jene der Gefangenen untereinander in ihren Wohnzellen.

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