Putin und die Demokratie:Ein Zerrbild von Freiheit und Gleichheit

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Wladimir Putin hält nicht viel von der Volksherrschaft westlicher Prägung - er findet sie "ineffizient".

Von Daniel Brössler

Irgendwann im turbulenten Jahr 1990 holte Anatolij Sobtschak, der demokratische Vorsitzende des Leningrader Stadtparlaments, einen neuen Mann in sein Team.

Es war der KGB-Offizier Wladimir Putin, gerade erst ein paar Monate zuvor von seinem Einsatz in der DDR zurückgekehrt. Für den überzeugten Geheimdienstler tat sich in der alten Heimat eine neue Welt auf.

Einem KGB-Kollegen soll er damals gesagt haben: "Ich bin dort hingegangen und war entsetzt von der Inkompetenz und fehlenden Professionalität dieser Demokraten!"

Demokratie und Effizienz

Putin und die Demokratie - auch 14 Jahre danach ist daraus keine Liebesgeschichte geworden. "Die Instrumente der Demokratie", dozierte er nach der Terror-Serie des Sommers, "dürfen durch kontraproduktive Effekte nicht den Zielen schaden, denen sie eigentlich dienen sollen."

Konsequent kündigte Russlands Präsident an, sich einiger dieser Instrumente zu entledigen - etwa der Direktwahl der 89 Gouverneure durch das Volk. Zwar tragen einige dieser Provinzchefs sogar den Titel "Präsident", doch künftig will Putin sie persönlich ernennen und diese Ernennung von den Regionalparlamenten nur noch absegnen lassen.

Eine zweite einschneidende Veränderung betrifft die Duma, das Parlament in Moskau. Anders als bisher sollen die Abgeordneten künftig durch eine reine Verhältniswahl bestimmt werden. Bislang war die Hälfte der 450 Parlamentarier direkt in ihren Bezirken gewählt worden. Parteilose und unabhängige Kandidaten hätten somit praktisch keine Chance mehr, Abgeordnete zu werden.

Der Terror von Beslan hat nach Einschätzung von Politologen wie Nikolaj Petrow von der Carnegie-Stiftung in Moskau nur den Vorwand für ein "Paket autoritärer Reformen" geboten. Oppositionelle sehen nun die von Putins Vorgänger Boris Jelzin geschaffene Verfassungsordnung in Gefahr, der zufolge Russland ein "demokratischer föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" hätte sein sollen.

Jelzins Verfassung hatte eine Mischung aus präsidentieller und parlamentarischer Herrschaft vorgesehen, von der freilich nach viereinhalb Jahren Putin in der Praxis nur noch die Herrschaft des Präsidenten übrig zu sein scheint.

Es komme gar nicht darauf an, ob Putins neueste Reformen noch verfassungskonform seien, meint der politische Analyst Wladimir Grjasnewitsch: "Putin hat mehr als genug Macht, um die ganze Prozedur im Rahmen der Gesetze durchzuführen."

Unheimliches Ausmaß der Macht

Das ganze Ausmaß dieser Macht wird auch Russlands Partnern im Ausland immer unheimlicher. Aus Brüssel und Washington trafen Mahnungen in Moskau ein, doch besonders deutlich äußerte sich ein US-Politiker außer Dienst.

Zbigniew Brzezinski, einst Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, verglich Putin mit dem italienischen Diktator Benito Mussolini. "Putins Regime ähnelt in vielerlei Hinsicht Mussolinis Faschismus", behauptete Brzezinski in einem Zeitungsaufsatz.

Im Namen des Chauvinismus habe der Italiener die politische Macht zentralisiert, Putin wiederum propagiere ein starkes Russland und begründe so den Machtanspruch des Kreml.

Putin selbst spricht gern von der "Vertikalen der Macht". Im Weltbild des einstigen KGB-Mannes stellt diese Vertikale nicht nur eine klare Kommandokette dar, die im Kreml beginnt und bei jedem der etwa 1,84 Millionen russischen Staatsbeamten endet, sondern sie umfasst alle Bereiche der Gesellschaft.

So führt der Kreml Regie beim Fernsehen - wie sich zuletzt wieder bei der lückenhaften Berichterstattung über die Geiselnahme in Beslan zeigte. Er wirkt in die Justiz hinein, was der russische Öl-Magnat Michail Chodorkowskij in seinem Strafprozess zu spüren bekommt.

Und er verfügt seit den vergangenen Wahlen über ein fast vollständig gezähmtes Parlament.

Dem Kreml nahe stehende Politologen verteidigen dies alles als russischen Weg zur Demokratie. "Russland hat eine europäische Wahl getroffen. Das heißt aber nicht, dass wir ewig bereit sind, vor europäischen und amerikanischen Professoren Prüfungen abzulegen", sagt Sergej Markow, der Direktor des Institutes für politische Studien.

Die angestrebten Reformen bewegten sich, so der kremltreue Wissenschaftler, im Rahmen der Verfassung aus dem Jahr 1993. Die Gouverneure würden auch in vielen anderen Ländern von oben bestimmt, und auch das reine Verhältniswahlrecht sei international üblich.

Es sei unwahr, dass es zwischen Putins Reformen und dem Terror keinen Zusammenhang gebe, sekundiert Konstantin Simonow, der Direktor des Zentrums für politische Konjunktur Russlands: Die Reformen sorgten für Effizienz, und nur ein effizienter Staat könne sich gegen den Terror wehren.

Effizienz lag Putin freilich schon lange vor Beslan sehr am Herzen. Beim Begräbnis Anatolij Sobtschaks im Jahr 2000 pries er seinen alten Mentor als großen Organisator. Von dessen Verdiensten um die Demokratie sprach Putin nicht.

© SZ vom 28.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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