Putin:"Habe über die Ukraine die reine Wahrheit gesagt"

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Bei seiner Deutschland-Visite gibt Russlands Premier Putin den Krisenmanager, der weiß, wo im Gasstreit die Schuldigen sitzen.

Hans Werner Kilz

Wladimir Putin wirkt müde, abgespannt. Seine Gesichtsmuskel sind ständig in Bewegung, es zuckt um die Mundwinkel, die Zunge fährt hastig über die Lippen. Nervös und ungeduldig spielt er mit einer Büroklammer, dreht sie ständig zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand.

Krisenmanager Wladimir Putin mit Julia Timoschenko. (Foto: Foto: AP)

Ein langer Tag liegt hinter dem russischen Ministerpräsidenten: Am Morgen wirbt er bei Angela Merkel im Kanzleramt um Verständnis für die russische Position im Gasstreit, dann beruhigt er beim Besuch der "Grünen Woche" einige ums Gas besorgte Berliner: "Wir haben aufgedreht." Am Abend erscheint er im Smoking beim vierten Semperopernball in Dresden, wo ihm Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich einen "Sächsischen Dankorden" überreicht.

Den bekommen Menschen, die "gegen den Strom schwimmen" und "unbeirrt und voller Mut" etwas Besonderes für Sachsen geleistet haben. Putin war 1985 bis 1990 als Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB in der DDR im Einsatz, vorwiegend in Dresden. Und sorgte dann nach dem Mauerfall dafür, dass drei im Zweiten Weltkrieg geraubte Gemälde in die Staatlichen Kunstsammlungen nach Dresden zurückkehrten. Etliche Kunstwerke fehlen allerdings noch.

Es ist später Freitagabend, neun Minuten vor Mitternacht. Putin, wieder in Zivil, hat eine kleine Schar deutscher Journalisten ins "Kempinski" im Dresdner Taschenbergpalais gebeten, weil er am nächsten Morgen nach Moskau muss, um den Streit um das russische Gas beizulegen. "Es ist ein großer politischer Schaden", sagt der russische Ministerpräsident, "aber wir haben keine Wahl."

Zwei Stunden lang schimpft er auf die Ukraine, den Präsidenten Wiktor Juschtschenko und die Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, mit der er sich dann in der darauffolgenden Nacht im Gasstreit einigen wird, zumindest vorläufig.

Putin gefällt sich in der Rolle des Krisenmanagers, auch als Premierminister hält er in Russland die Fäden fest in der Hand. Und sein Schönstes ist es, wenn er die europäischen Regierungschefs gegeneinander ausspielen kann.

Darüber klagt auch Kanzlerin Angela Merkel, und sie hat es ihm am Freitag offenbar in aller Deutlichkeit gesagt: "Sie hat mit mir geschimpft", gesteht Putin und schaut dabei so listig verschlagen, dass ihm jeder anmerkt, wie sehr er sich darüber freut. Mit der Kanzlerin hat er sich auf eine Expertengruppe verständigt, die das Gasleitungsnetz der Ukraine überprüfen und überwachen soll, damit es nicht abermalig zu einseitigen Lieferstopps kommt.

"Ein Monopol", kritisiert Putin, "ist immer schädlich" und bezichtigt die Ukraine der "technologischen Barbarei", die erst dann überwunden werde, wenn die geplante Ostsee-Pipeline gebaut sei und sich Russland nicht mehr erpressen lassen müsse. Zu Zeiten der Sowjetunion hätten die Russen "nie gegen ihre Verpflichtungen verstoßen, auch im Kalten Krieg nicht". Und dann spricht der Ministerpräsident, als wolle er alle Zweifel endgültig beseitigen, plötzlich deutsch: "Ordnung muss sein."

Für die Deutschen, beruhigt Putin, gebe es "keinen Grund zur Besorgnis", er lasse einen treuen Verbündeten nicht im Kalten sitzen. Und als wolle er das deutsch-russische Verhältnis noch einmal besonders bekräftigen, erteilt er dem anwesenden russischen Regisseur Alexander Sokurov das Wort, der gerade Goethes "Faust" als abendfüllenden Spielfilm dreht - in deutscher Sprache und mit internationaler Besetzung. Deutschland sei "ein nahes Land, ein geliebtes Land", schwärmt Sokurov, auch Nazismus und Stalinismus hätten es "nicht vermocht, uns zu trennen".

Mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama hat Putin noch nicht gesprochen, er sei aber "bereit zu gemeinsamer Arbeit", beim Kampf gegen Massenvernichtungswaffen, im Nahen Osten und bei Iran. Die große Begeisterung der Europäer für Obama resultiere wohl "aus der großen Enttäuschung über die Bush-Ära", meint Putin. Auch auf ihn mache der künftige US-Präsident den Eindruck eines "aufrichtigen und offenen Menschen". Doch: "Ich hatte bisher noch keinen Kontakt."

"Ich weiß ja nicht, was Sie schreiben wollen", sagt Putin, als er kurz vor zwei Uhr nachts die letzte Frage zulässt, "schreiben Sie, was Sie wollen. Aber ich habe über die Ukraine in den vergangenen Wochen die reine Wahrheit gesagt." Putin kommt mit sechs Stunden Schlaf aus. Aber in dieser Nacht, vor dem Aufbruch zum Moskauer Gasgipfel, "werden es nur dreieinhalb Stunden sein."

© SZ vom 19.01.2009/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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