Prozess gegen John Demjanjuk:Zoff um den Ausweis

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Sachverständige bestätigen die Echtheit von John Demjanjuks Dienstausweis für das Vernichtungslager Sobibor. Doch die Verteidiger des mutmaßlichen NS-Verbrechers wollen nicht daran glauben.

Alexander Krug

Er liegt gut gesichert in einem Tresor und gilt als eines der zentralen Beweisstücke im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk: der Dienstausweis mit der Nummer 1393.

Das Dokument aus dem Jahr 1942, das Demjanjuk als Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor benennt, ist schon durch viele Expertenhände gegangen. Zuletzt hat ein Urkundenspezialist vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) den vergilbten Karton untersucht. Am Mittwoch fasste der Sachverständige Anton Dallmayer im Schwurgericht München II zusammen: "Der fragliche Dienstausweis ist als authentisch zu betrachten."

John Demjanjuk ist erst vor wenigen Tagen 90 Jahre alt geworden. Vor 68 Jahren soll der gebürtige Ukrainer als Kriegsgefangener von der SS rekrutiert und im SS-Ausbildungslager Trawniki in der Nähe von Lublin als Wachmann ausgebildet worden sein. Vor dort wurden die sogenannten Trawnikis, wie die nichtdeutschen Wachmänner auch genannt wurden, in die Konzentrations- und Vernichtungslager im besetzten Polen geschickt.

Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen?

Demjanjuk soll von März bis September 1943 in Sobibor Dienst geleistet haben, wo bis zu 250.000 Juden vergast wurden. Die Anklage wirft Demjanjuk Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen vor.

Der Angeklagte hat die Vorwürfe stets bestritten. Aus Sicht der Ankläger ist er aber bereits durch den Dienstausweis überführt, der im Besitz der Amerikaner ist und von diesen am Dienstag mittels Boten dem Gericht übergeben wurde, ausdrücklich nur für drei Tage. Gelagert wird das Original in einem Tresor des Landgerichts. Der LKA-Experte Dallmayer hatte das Dokument bereits im März vorigen Jahres auf seine "urkundentechnische Echtheit" überprüft. Dabei hatte er den Demjanjuk zugeordneten Ausweis mit drei anderen Original-Dokumenten von Trawnikis verglichen, die ihm ebenfalls von den Amerikanern übergeben worden waren.

Alle vier Ausweise weisen nach Angaben von Dallmayer besondere Merkmale auf, die bei allen gleich seien. So seien etwa Umlaute per Hand eingefügt und handgefertigte SS-Runen eingetragen. Eine nachträglich angefertigte Kopie sei damit praktisch ausgeschlossen. "So etwas kann man auch mit modernsten reprographischen Methoden nicht wieder herstellen", erklärte der Experte.

Als Schreibmaschine sei wahrscheinlich eine deutsche Olympia Typ 12 verwendet worden, ein Modell, das von 1930 an hergestellt wurde. Die verwendete Tinte und das Papier lassen aus Sicht des Sachverständigen hingegen keine verwertbaren Rückschlüsse zu. Die Tinte sei noch bis heute im Einsatz, das Papier sei "von geringer Qualität", ohne Wasserzeichen.

Anders sehe es bei den Stempel- und Siegelabdrücken aus: Sie weisen dem Experten zufolge individuelle Merkmale auf, die "nur sehr schwer zu rekonstruieren wären". Das Lichtbild von Demjanjuk sei mit zwei Siegeln gesichert, die allerdings etwas verrutscht seien. "Das Lichtbild muss mal draußen gewesen und dann wieder eingeklebt worden sein", sagte Dallmayer.

Er sehe aufgrund bestimmter Merkmale aber keinen Hinweis, dass dabei das Foto ausgewechselt wurde. Im Vergleich mit den drei anderen Dokumenten sei der Demjanjuk-Ausweis "als authentisch" zu bewerten: "Alle vier Dokumente stammen aus einer Hand." Auf die Nachfrage von Richter Ralph Alt, ob die vier Ausweise beispielsweise auch in Moskau hergestellt worden sein könnten, antwortete der Sachverständige lapidar mit Ja.

"Kompetenzen überschritten"

Die Verteidiger halten den Ausweis nach wie vor für eine mutmaßlich vom sowjetischen Geheimdienst erstellte Fälschung. Rechtsanwalt Ulrich Busch lehnte den Experten am Mittwoch wegen "Besorgnis der Befangenheit" ab. Aus seiner Sicht habe sich Dallmayer "zum Richter gemacht und seine Kompetenzen überschritten". Mit seinem Gutachten habe er gegen elementare Regeln verstoßen: Er habe die drei vom US-Justizministerium übergebenen Vergleichsausweise einfach als authentisch übernommen, ohne deren Echtheit zu überprüfen.

Bereits am Dienstag hatten sich die Richter mit dem Lichtbild Demjanjuks auf dem Ausweis beschäftigt. Auch dessen Echtheit wird von den Verteidigern in Zweifel gezogen. Ein mittlerweile pensionierter Beamter des Bundeskriminalamtes hatte das Foto mit sieben anderen Bildern Demjanjuks aus der Zeit zwischen den Jahren 1941 und 1986 verglichen. Anhand von 24 Gesichtsmerkmalen kam er zu dem Ergebnis, dass das Bild "sehr wahrscheinlich" Demjanjuk zuzuordnen sei. Der Prozess wird an diesem Donnerstag mit der weiteren Vernehmung des Sachverständigen Dallmayer fortgesetzt.

© SZ vom 15.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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