Provokation in der Politik:Der Klügere gibt nach - aber nicht immer

Lesezeit: 2 min

Der türkische Präsident Erdoğan provoziert aus machtpolitischen Gründen. Die EU-Staaten sollten sich das nicht mehr gefallen lassen. Sie könnten die Farce der Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei beenden.

Von Stefan Ulrich

Was hat Angela Merkel mit dem römischen Kaiser Marc Aurel gemeinsam? Sie teilt seine Einsicht: "Ergib dich nicht der Stimmung dessen, der dich beleidigt, und folge nicht dem Weg, auf den er dich schleppen möchte."

Mit engelsgleicher Geduld reagiert die Kanzlerin auf die Pöbeleien des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Milder Tadel ist die schärfste Reaktion, die Merkel auf die Frechheiten aus Ankara zeigt. Andere Europäer schlagen härter zurück. So verbot die niederländische Regierung türkischen Ministern Wahlkampfauftritte in ihrem Land. In beiden Fällen legte Erdoğan mit neuem groben Unfug nach. Die richtige Strategie gegen den Provokateur scheint noch nicht gefunden zu sein.

Ob Putin, Trump, Kaczyński oder Erdoğan - sie benutzen die Provokation als Waffe. Moderate Politiker tun sich schwer damit, angemessen darauf zu antworten. Sie wollen einerseits, wie Merkel, Konflikte nicht weiter anheizen, und sich andererseits, wie der holländische Premier Mark Rutte, nicht vorführen lassen. Was also ist klüger - nachgeben oder gegenhalten?

Präsident Erdoğan will den Streit, die EU sollte sich ihm stellen

Vor einer Antwort ist zu klären, was die Provokateure jeweils bezwecken. Geht es ihnen letztlich um einen echten Kompromiss in einem Streit, kann eine sanfte Reaktion hilfreich sein. Haben sie jedoch gar kein Interesse an einer friedlichen Lösung, so gilt es, ihnen klare Grenzen zu setzen.

Im Falle Erdoğans ist die Analyse einfach. Der Präsident baut seit Jahren an Feindbildern - die Kurden, die Europäer, zwischendrin auch mal die Russen -, um seine Macht zu festigen, von Missständen abzulenken und den Nationalismus der Türken hochzuputschen. Nationalismus aber ist, um ein Diktum von Marx und Lenin abzuwandeln, Opium für das Volk. Er benebelt die Sinne und führt dazu, dass viele Menschen entgegen ihren eigenen Interessen einem autoritären Anführer huldigen. Dessen Hetze gegen vermeintliche Feinde und seine Appelle an Blut und Ehre lassen die Nöte des Alltags vergessen: Wirtschaftskrisen, Unsicherheit, Unterdrückung. Das Elend des Einzelnen scheint sich im Rausch der Masse aufzulösen.

Wer diese Herrschaftsstrategie verfolgt, will keine Befriedung, sondern Eskalation. Daher spitzt Erdoğan weiter zu. Er vergleicht Deutsche und Holländer schon mit Nazis, Terroristen oder Völkermördern. Viel bleibt nun nicht mehr an verbalen Exzessen. Rutte als großer Satan? Europa als Hure Babylon? Und was passiert dann?

Angela Merkel hielt sich bislang so zurück, weil ihr pathetische Gemeinheiten zuwider sind und sie Erdoğan nicht helfen will, Feindbilder zu errichten. Das ehrt sie. Doch gebracht hat es wenig. Während Erdoğan nach außen wütet, baut er im Inneren sein Land zum autoritären Staat um. Das Verfassungsreferendum soll den Putsch von oben krönen. Um es zu gewinnen, macht der Präsident Europa zum Feind.

Die EU-Staaten können daher nichts mehr erreichen, indem sie Erdoğan nachgeben. Sie müssen die Auseinandersetzung annehmen. Nicht mit Gegen-Beschimpfungen, sondern mit kühlen Gegen-Schritten. Sie könnten die Farce um die Verhandlungen über einen EU-Beitritt beenden, an den ohnehin keiner mehr glaubt. Vor allem aber sollten sie zusammen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in der EU verbieten. Erdoğan und seine Minister haben kein Recht, ihre innenpolitischen Konflikte im Ausland auszutragen. Und sie haben kein Recht, auf dem Boden der europäischen Demokratien für eine Verfassungsreform zu werben, die dem Marsch in die Diktatur dient.

Doch was ist mit der Meinungsfreiheit Erdoğans und seiner Minister? Hier gilt ein Grundsatz der wehrhaften Demokratie, der richtig bleibt, auch wenn er in der Geschichte schon missbraucht worden ist: keine Freiheit den Feinden der Freiheit.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: