Presseschau:Ist ein Burkaverbot liberal?

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(Foto: sz)

Die Schweizer Presse diskutiert heftig über den Umgang mit Kleidervorschriften des konservativen Islam.

Von Charlotte Theile

Der Schweizer Nationalrat hat sich Anfang der Woche mit einem Vorstoß zum Verhüllungsverbot beschäftigt - und mit nur einer Stimme Mehrheit entschieden, die Gesichtsverschleierung künftig verbieten zu wollen. Und obwohl das Gesetz noch vor den Ständerat muss, ist es ein deutliches Signal für das sogenannte Burka-Verbot. Noch vor ein paar Wochen schien eine solche Entscheidung unmöglich zu sein. Mit Ausnahme der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei waren sich die Parteien einig, dass ein solches Verbot wenig bringt. In diesem Sommer jedoch hat sich in der Schweiz in dieser Frage einiges verschoben. Am prominentesten ist der Sinneswandel wohl in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Das liberale Blatt steht den Freisinnigen Demokraten nahe - und hatte lange Zeit die These vertreten, der Staat habe sich aus Bekleidungsfragen seiner Bürger möglichst weit herauszuhalten. Noch im August hatte NZZ-CEO Veit Dengler diese These bei einer Podiumsdiskussion vertreten.

Nur ein paar Tage später schrieb Chefredakteur Eric Gujer, 2015 angetreten, um die politische Linie des Blattes zu schärfen, gegen das "Gefängnis aus Stoff" an. Der Gesichtsschleier stehe für eine "Ideologie des Hasses", wer ihn verteidige, müsse "schon arg vom Bazillus des Werterelativismus angekränkelt sein". Er sei klar für ein gesetzliches Verbot - auch mit dem Verweis auf den Kanton Tessin, wo ein solches Gesetz seit dem 1. Juli in Kraft ist. An einer Stelle aber relativierte Gujer sein Plädoyer für diese "Symbolpolitik im besten Sinne": Das Verbot des Gesichtsschleiers gehöre nicht in die Verfassung - auch dafür werden gerade im ganzen Land Unterschriften gesammelt -, sondern sei als flexibel veränderbares Gesetz am besten aufgehoben. Im linksliberalen Tages-Anzeiger befand man: eine typisch schweizerische Regelung. Statt wie in Deutschland mit "Hysterie" und "grundsätzlich" zu argumentieren, versuche man in der Schweiz, "auf verschlungenen Linien, man könnte auch sagen: verschämt" zum Ziel zu kommen.

Nach einigen Wochen der verschlungenen Diskussion sind nun nicht nur einige Abgeordnete der Christdemokraten und Freisinnigen für das Verbot, sondern auch einer der bekanntesten Imame des Landes. Mustafa Memeti, der sich in Bern am interreligiösen "Haus der Religionen" beteiligt, sagte der Aargauer Zeitung, er empfinde Ganzkörperverschleierung als "absurd". Sie zu verbieten, sei kein Signal gegen Muslime, "höchstens gegen Ultrakonservative". Er bezog sich auch auf ein Argument, das die rechtskonservativen Verfechter des Verbots immer wieder anführen: "In einer offenen Gesellschaft sollte eine Frau ihr Gesicht und damit ihre Identität zeigen." Ein Kopftuch-Verbot fände er hingegen "problematisch". Kritischer äußerte sich die Aargauer Zeitung in einem Kommentar. Dort hieß es: "Glaubt jemand allen Ernstes, irgendein Problem mit extremem Islamismus werde mit einem Schweizer Burkaverbot gelöst?"

Im Tessin versucht man derweil, das Gesetz ohne große Konfrontation durchzusetzen, Bußen wurden bisher kaum verteilt. Der Polizeichef von Lugano berichtete von konstruktiven Gesprächen, in denen die wenigen Frauen, die verschleiert angetroffen wurden, durch kompetente Polizisten informiert und überzeugt wurden, ihren Schleier abzulegen.

Der Leitartikel des NZZ-Chefredakteurs wurde in den sozialen Medien kontrovers diskutiert, die politische Wirkung fasst das Blatt so zusammen: "SVP-Vorstoß dank einiger Freisinniger erfolgreich". Die grundsätzliche Frage in diesem Sommer lautete: "Ist es liberal, für ein Burka-Verbot zu sein?"

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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