Presseschau:En Marche!

Lesezeit: 2 min

Nadia Pantel ist SZ-Korrespondentin in Paris. (Foto: N/A)

Die französische Presse bereitet sich auf die Wahl eines neuen Präsidenten vor. Alles hängt davon ab, wer am ehesten die Kandidatin der Nationalen Front verhindern kann. Der konservative Bewerber hat sich schon selbst demontiert.

Ausgewählt von Nadia Pantel

Marine Le Pen unterscheidet von Donald Trump, dass sie keine wandelnde Steilvorlage für Satiriker ist. Ansonsten ähneln sich die französische Präsidentschaftskandidatin und der amerikanische Präsident: Sie fürchten Einwanderung und den Islam, sie idealisieren die Nation, sie misstrauen der freien Presse. Nur wird die Wahlkämpferin Le Pen im Gegensatz zum Wahlkämpfer Trump nicht als schlechter Witz abgetan. Und so dominiert in Frankreichs Wahlberichterstattung immer die eine Frage: Wer kann Le Pen besiegen? Die Libération hat sich in dieser Woche vom konservativen François Fillon als potenziellem Präsidenten verabschiedet. Obwohl der an seiner Kandidatur festhielt. Auf der Internetseite der Zeitung gibt es einen Live-Zähler der "treulosen Tomaten", also der republikanischen Politiker, die ihrem Fillon das Vertrauen entziehen. Stand Freitagmittag: 80, Tendenz steigend.

Als Fillon am Mittwoch vor die Presse trat und mitteilte, dass er am 15. März wegen der mutmaßlichen Scheinbeschäftigung seiner Frau bei Untersuchungsrichtern vorgeladen ist, entschied sich der konservative Katholik für maximales Pathos. Er werde "sich nicht ergeben", die Franzosen müssten mit ihm gemeinsam "Widerstand" leisten. Als sei er von feindlichen Kriegern angegriffen worden, nicht von der unabhängigen französischen Justiz. Le Monde reagiert fast schon gereizt auf diese Unfähigkeit zur Selbstkritik: "Indem er seine Situation so dramatisiert, nimmt er in gewisser Weise die Präsidentschaftswahl als Geisel." Die Zeitung kommentiert, dass er auf diese Art verhindert, dass "sich endlich eine Debatte über die Zukunft des Landes entwickelt". Fillon bedient sich dabei derselben Logik wie Marine Le Pen: Nicht ich bin korrupt, das System ist verkommen.

Der britische Economist erinnert in seiner aktuellen Ausgabe allerdings zu Recht daran, dass die Position der Anti-Establishment-Kandidatur schon vergeben ist - an Le Pen. Auf dem Economist-Titel gehen Franzosen mit wehender Tricolore auf die Barrikaden, wie in Eugène Delacroix' ikonenhaftem Revolutionsgemälde "Die Freiheit führt das Volk". Im Heft selbst wird dann festgestellt, dass derzeit niemand das französische "Selbstbild als Nation der Revolutionäre mit der Mistgabel in der Hand" so gut bedient wie der Front National.

Vielleicht ist es da gerade von Vorteil, nicht als derjenige ausgerufen zu werden, der alles grundlegend anders machen wird. Es ist zwar nicht als Kompliment gemeint, wenn der Figaro über den derzeitigen Umfrage-Liebling Emmanuel Macron schreibt, man solle "nicht übertreiben" und ihn "als Revolutionär beschreiben". Doch tatsächlich scheint Macron bei eher zuversichtlich veranlagten Wählern damit zu punkten, dass er nicht alles verteufelt, was nach politischer Lösung klingt. Macron hat mit seiner vor elf Monaten gegründeten Bewegung En Marche überraschend Chancen aufs Präsidentenamt, weil sich die etablierten Parteien rechts wie links selber kleinkämpfen. So beschreibt der Figaro Macron als eine Art kleineres Übel. "So tiefgefroren wie Frankreich ist", sei Macrons Wirtschaftsprogramm, das liberale und linke Ideen vereint "schon ein großer Fortschritt".

Auch Le Monde sieht in Macrons Programm eine Mischung liberaler, linker und konservativer Ideen - für die Zeitung Symptom einer "Entscheidungs-Allergie". "Er will gewählt werden, aber er will in erster Linie gemocht werden." Einig sind sich die französischen Blätter jedoch in einem Detail, sie lassen Macron sein Ausrufezeichen. Jedes Mal wenn sie über ihn berichten, übernehmen sie seine enthusiastische Schreibweise: En Marche!

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: