Präsidentschaftskandidat Sarkozy:Ausweitung der Kampfzone

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Nicolas Sarkozy hat sein Amt als französischer Innenminister niedergelegt, um sich ganz seiner Präsidentschafts-Kandidatur zu widmen. Zu punkten versucht er mit einem harten Kurs gegen Einwanderer. Dass er ausgerechnet in einem der ausländerreichsten Viertel von Paris seine Wahlkampfzentrale angesiedelt hat, sehen viele als Provokation - und als weitere Schikane.

Eine Reportage von Johannes Honsell, Paris

Die Pariser rue d'Enghien ist weder breit noch bedeutend, und doch trennt sie zurzeit Frankreich symbolisch in zwei Hälften. Auf der linken Seite hat Alex seine Pizzeria, auf der rechten Nicolas Sarkozy sein Wahlkampfquartier. Links läuft den ganzen Tag Reggae-Musik, rechts piepst nur ab und zu der Metalldetektor. Links darf jeder rein, rechts fast niemand.

Trotzdem ist es auch links bei Alex leer. Das Ambiente ist nicht einladend für die Klientel des multikulturellen Viertels: Polizisten direkt vor dem Restaurant, Polizeibusse mit vergitterten Fenstern an den Straßenenden, die ab und zu durch eine Demonstration noch zusätzlich blockiert werden. Unlängst haben Umwelt-Aktivisten mehrere Tonnen Gen-Mais vor Alex' und Sarkozys Tür abgeladen. Die Passanten haben spontan applaudiert, aber für Alex' Geschäft war das nicht gut.

Viele, die hier leben, empfinden es als Provokation, dass der Mann, der für seine scharfe Ausländerpolitik bekannt ist, sich ausgerechnet das zehnte Arrondissement ausgesucht hat. Pakistaner, Inder, Senegalesen, Türken, Kurden leben hier, die Läden heißen Mini-Istanbul oder Rajpout, und an jeder Ecke kann man raubkopierte Bollywood-Filme kaufen.

"Das hat er gemacht, um die Immigranten zu ermüden", vermutet ein junger Afrikaner, der an der U-Bahn-Station Strasbourg St. Denis Flyer verteilt. "Die sans-papiers ("die ohne Papiere") sind alle abgehauen. Das Viertel ist leer", sagt er. Sans-papiers, so heißen in Frankreich die Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Ein wenig wirkt es nun, als sei Sarkozy persönlich gekommen, um sie zu vertreiben.

"Erster Polizist Frankreichs"

"Unsinn", sagt dazu ein Presse-Attaché im Hauptquartier. "Sarkozy wollte in ein buntes und populäres Viertel, denn er möchte der Präsident aller Franzosen sein." Das glauben aber nicht alle Franzosen, vor allem seit Sarkozy im März die Gründung eines "Ministeriums für Immigration und nationale Identität" in Aussicht stellte - eine Idee, für die sich außer dem rechtsextremen Kandidaten Jean-Marie Le Pen bislang niemand so recht erwärmen kann.

Seinen Ruf als "erster Polizist Frankreichs" hat sich Sarkozy als französischer Innenminister erarbeitet. Zweimal übernahm er dieses Amt, 2002 und 2005. An diesem Montag gab er den Posten ab, auch um den ständigen Vorwürfen des Interessenkonfliktes zu begegnen: Als Innenminister ist der Kandidat Sarkozy auch für die Wahlen zuständig - und für die Polizisten, die sein Wahlkampfquartier schützen.

Aber das ist Politik, und für die interessiert sich Restaurantbetreiber Alex nicht mehr. "Ich wähle nicht, seit 2002 bin ich geimpft", erklärt er lakonisch und redet dabei noch langsamer, als er Gemüse schneidet. Am 21. April 2002 verlor der Kandidat der Linken, Lionel Jospin, im ersten Wahlgang gegen Jean-Marie Le Pen. Ein Fanal für alle Franzosen, die wie Alex eine dunkle Hautfarbe haben. Draußen fährt der Wind in ein zehn Meter hohes Wahlkampfbanner, auf dem steht: "Gemeinsam wird alles möglich."

Das fürchtet auch Georges Rendart, der an der Ecke zur rue du Faubourg-Saint-Denis steht und schimpft: "Ich liefere seit zwanzig Jahren Essen aus, aber jeden Tag lassen mich die Cops wieder die Kartons öffnen." Rendart heißt in Wirklichkeit anders, aber seinen richtigen Namen verrät er nur der Polizei. Auch Herr Ali will nur seinen Vornamen nennen. Seit drei Jahren verkauft er in einem Laden in der rue du Faubourg-Saint-Denis französischen und türkischen Kitsch, seit Mitte Januar allerdings deutlich weniger als sonst.

"Seit Monsieur Sarkozy da ist, machen wir 20 Prozent weniger Umsatz. Ständig Kontrollen und Polizeisperren, da denken die Leute irgendwann, hier passiere dauernd was", sagt er.

Er ist vor dreißig Jahren aus Ankara nach Paris gekommen. Wer in dem Mittfünfziger allerdings einen glühenden Sarkozy-Gegner vermutet, irrt. "Ich mag keine Schwarzhändler, und die sind weniger geworden. Außerdem: Wenn er Präsident werden sollte, wird er schon nicht alles machen, was er als Innenminister angekündigt hat."

Das hoffen Sarkozys Gegner, denn als Innenminister griff er ein ums andere Mal hart durch. Er erließ zwei Gesetze, mit denen die Einwanderung erschwert werden sollte. Er machte von sich reden durch seine harte Haltung gegenüber Straftätern und sans-papiers. Und seine Vorliebe für markige Sprüche: So bezeichnete Sarkozy einen Teil der Jugendlichen der Problemviertel als "Gesindel", das man "mit dem Kärcher", dem Hochdruckreiniger deutscher Herkunft, beseitigen solle. Auf die Weise wurde er zum meistgehassten Mann der ärmeren Vororte.

"Wer Frankreich nicht mag, soll das Land verlassen"

Obwohl es ihm nicht gelang, die Rate der Gewaltverbrechen signifikant zu senken und die Zustände in den Vororten zu verbessern, trauen ihm die Franzosen in dieser Frage mehr zu als der Konkurrentin aus dem sozialistischen Lager, Segolène Royal. Als Präsident möchte Sarkozy von der integration subie, der "erlittenen" Einwanderung, zur integration choisie übergehen, bei der vor allem qualifizierte Fachkräfte ins Land gelassen werden sollen.

Die muslimische Minderheit im Land will er besser ins öffentliche Leben einbinden und zugleich hart gegen Delinquenten vorgehen. Sein Credo: "Wer Frankreich nicht mag, soll das Land verlassen."

Rund um die rue d'Enghien ist man gegenüber solchen Sprüchen besonders sensibel. In einem Schallplattenladen raunt ein afrikanischer Kunde dem Besucher zu: "Mich haben sie letzte Woche zweimal kontrolliert." Ein anderer tritt hinzu und flüstert im Verschwörer-Ton: "Sie bringen die Leute jetzt im Flugzeug aus dem Land. Das ist ein Gerücht, das hier die Runde macht."

Auf der anderen Straßenseite schüttelt der Besitzer eines Zeitungskiosks nur den Kopf, wenn er so etwas hört: "Die ganze Aufregung um Sarkozys Wahlkampfquartier ist doch ein Trick der Sozialisten. Hier ist alles bestens."

So denkt man auch im Inneren des Hauptquartiers. Der Glaspalast war früher ein Theater, später beherbergte er die Ateliers des Modeschöpfers Paco Rabanne. Jetzt wieseln die Wahlkampfhelfer über die Galerien, allein fünf Mitarbeiter füttern die Blogs der eigenen Partei und überwachen die des Gegners. Auf Flatsceens laufen Sarkozys Fernsehauftritte in Endlosschleife.

"Vielleicht gibt es weniger sans-papiers, seit wir da sind, aber niemand soll sich verfolgt fühlen. Manche Händler sagen auch, dass sie jetzt mehr Geschäft machen", sagt Guillaume Bazaille, ein Sprecher Sarkozys. Seine beiden Handys läuten fortwährend, die Wahlkampfmaschinerie brummt. Für den ersten Wahlgang am 22. April gilt Sarkozy als der aussichtsreichste Kandidat.

Es ist nicht sicher, ob Alex noch da ist, wenn es so weit kommt. Er hat die Pizzeria erst vor ein paar Wochen übernommen, und es kommen kaum Gäste. Wie es hinter der großen Glasfassade gegenüber aussieht, weiß Alex nicht. Er war noch nicht drin im Hauptquartier, denn bei Sarkozy darf man nicht einfach so rein. Von draußen erkennt man vor allem das drei Mal drei Meter große Porträt des Präsidentschaftskandidaten, dessen Augen einen wie die Mona Lisa immer direkt anschauen, egal wo man steht.

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