Portrait:Ein Krimskrams-Verkäufer mit Wirtschaftswunder-Karriere

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Kemal Sahin hat es vom "Krimskrams-Verkäufer" bis in die Türkei-Delegation von Bundeskanzler Gerhard Schröder gebracht. Der Sohn anatolischer Bauern wagte gegen den Willen seines Vaters den Sprung auf die Aachener Universität. Wenig später wuchs sein Einmann-Betrieb im Rekord-Tempo zu einem globalen Konzern.

Von Johannes Nitschmann

Für Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist der türkische Unternehmer Kemal Sahin "eine der ersten Ich-AGs". Aus purer Verzweiflung machte der studierte Ingenieur Sahin, dem seinerzeit eine Arbeitserlaubnis verweigert worden war, 1982 in Aachen eine Geschenkboutique auf, mit einem Startkapital von 5000 Mark.

Inzwischen hat es der einstige "Krimskrams-Verkäufer" bis in die Türkei-Delegation von Bundeskanzler Gerhard Schröder gebracht. Der 48-jährige Sahin begleitet den Regierungschef auf seiner derzeitigen Reise als Vorzeigeunternehmer, der im Wirtschaftswunderland Deutschland eine märchenhafte Karriere gemacht hat.

Textilien für Disney

Was als Einmann-Betrieb in einem kleinen Aachener Ladenlokal mit dem Handel von Teppichen, Geschirr, Elektrogeräten und Textilien begann, hat sich im Rekordtempo zu einem globalen Konzern erwachsen. Der im rheinischen Würselen ansässigen "Sahinler Holding" gehören weltweit 28 Unternehmen und 400 Filialen mit annähernd 12000 Mitarbeitern an.

Der Konzernumsatz belief sich zuletzt auf 1,15 Milliarden Euro. Das Kerngeschäft des deutsch-türkischen Unternehmens sind die Herstellung und der Vertrieb von Textilien, unter anderem auch für große Merchandisingpartner wie Warner Brother, Walt Disney und MTV.

Zum Firmenreich Sahins gehört die Modekette adessa mit 150 Filialen in Deutschland. 70 Prozent der angebotenen Produkte werden von Firmen in der Türkei hergestellt. Zur Konzerngruppe gehören auch ein Ferienklub in der Nähe von Antalya, ein Bauunternehmen, ein großer Catering-Service und sogar ein Dampf- und Elektrizitätswerk.

Vom anatolischen Dorf an die Aachener Universität

Seinen Geschäftserfolg schreibt der wortgewandte Sahin der "produktiven Mischung zweier Mentalitäten" zu: Türkische Freundlichkeit, Kreativität und Flexibilität seien bei ihm gepaart mit deutscher Disziplin, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit. In seiner Autobiographie nennt sich der Unternehmer mit Wohnsitz in Aachen und Istanbul einen "Falken in der Fremde" - Sahin heißt übersetzt "Falke".

Der 1955 im anatolischen Dorf Taslipinar geborene Bauernjunge besuchte gegen den Willen seines Vaters das Gymnasium und ging 1973 mit einem Stipendium an die Aachener Universität, wo er Metallurgie studierte. Statt dem Wunsch seines Vaters zu folgen und Offizier in der türkischen Armee zu werden, baute sich Sahin sein Firmenimperium auf und kommandierte bald Legionen von Mitarbeitern.

"Ich entwickle Menschen"

Die schwärmen von ihrem Chef, weil er unkompliziert und bodenständig geblieben sei: "Egal ob ein hoher Angestellter oder die Putzfrau ein Problem hat" - die Türe von Sahins Büro in der Würselener Firmenzentrale steht ständig offen. Der Karrieremann versteht sich als "Coacher" und sagt: "Ich entwickle Menschen."

Sahin ist Vorsitzender der türkisch-deutschen Industrie- und Handelskammer in Köln. Bundesweit existieren derzeit etwa 60000 deutsch-türkische Unternehmen mit über 300000 Beschäftigen und 25 Milliarden Euro Umsatz. Sahin lobt den Geschäftssinn seiner Landsleute: "Türken sind von Natur aus risikofreudiger."

© SZ vom 24.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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