Porträt:Rita Borsellino, Mafia-Bekämpferin, auf dem Weg in Siziliens höchstes Amt

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Rita Borsellino lebt immer noch in dem Haus in der Via D'Amelio, wie damals, als das Verbrechen geschah. An einem Sonntag im Juli 1992 hatte die Mafia in Palermo ihren Bruder Paolo in die Luft gesprengt. Der berühmte Richter und Mafia-Jäger war gekommen, um seine Familie zu besuchen.

Stefan Ulrich

Ein tödlicher Wunsch. "An diesem Tag hat mein zweites Leben begonnen", erzählte Rita Borsellino später. Die verschlossene, schüchterne Frau wurde zur Vorkämpferin gegen das organisierte Verbrechen, die in Italien Säle und Plätze füllt.

Nun zieht die 55-jährige Mutter von drei Kindern in ihren größten Kampf: Bei Vorwahlen der sizilianischen Linksparteien wurde sie am Sonntag mit überwältigender Mehrheit zur Spitzenkandidatin für das Amt des Regions-Präsidenten gekürt. Als sich das Ergebnis abzeichnete, zogen ihre enthusiastischen Anhänger mit "Forza Rita"-Rufen durch die Nacht. Am Morgen danach sprachen die Mitstreiter von einem "historischen Tag für Sizilien" - und von einem neuen Anlauf, die Cosa Nostra zu schlagen.

Rita Borsellino hat sich bei den Vorwahlen mit 67 zu 33 Prozent gegen Ferdinando Latteri, den Rektor der Universität von Catania durchgesetzt. Diesen Sieg wertet die Apothekerin mit den blauen Augen und dem grauen Haarschopf als Signal, dass Sizilien mit seiner Vergangenheit brechen will.

"Ein Sizilien, das sich ändern will"

"Diskontinuität" nennt sie das; also den Bruch mit dem mafiösen Klientel-System, das der Insel "Unsicherheit, ein krankes Gesundheitssystem und die größte Schuldenlast Italiens gebracht hat". In den vergangenen 13 Jahren sei sie kreuz und quer durch ihre Heimat gefahren und habe die verschiedensten Menschen getroffen. "Dabei habe ich ein anderes Sizilien kennen gelernt, das sich wirklich ändern will." Als Präsidentin möchte sie den Sizilianern nun dabei helfen.

Die Ehren-Vorsitzende der italienweiten Anti-Mafia-Bewegung Libera setzt so als Politikerin den juristischen Kampf ihres Bruders fort. Dabei muss sie sich gegen Kritik verteidigen, sie sei eine militante Linke ohne politische Erfahrung, die bei den Regionalwahlen im Frühjahr nie die Mehrheit erringen könne. Die praktizierende Katholikin kontert dies mit der Versicherung: "Ich bin eine Moderate." Zudem kämpfe sie nicht nur gegen die Mafia, sondern auch für ein modernes, demokratisches Sizilien.

Doch die Bosse der Cosa Nostra bleiben ihre gefährlichsten Gegner. "Ich weiß, dass mir im Weltbild der Mafia nur eine Rolle zusteht", sagte sie im Wahlkampf: "die der in Trauer lebenden Opfer-Angehörigen." Doch mit diesem traditionellen sizilianischen Frauenschicksal findet sie sich nicht ab. Die Jahre als Aktivistin haben ihr geholfen, ihre Ängste abzulegen. Dabei gibt sich Rita Borsellino keinen Illusionen hin. Zwar werde derzeit über die Mafia geschwiegen, so als gäbe es sie nicht mehr. "Doch sie existiert, sie terrorisiert, sie herrscht." Und sie verfüge über Rückhalt in der Politik.

Mit welchem Gegner von der Rechten sich Rita Borsellino bei der Wahl im Frühjahr messen muss, weiß sie noch nicht. Es ist unsicher, ob Toto Cuffaro, Siziliens amtierender Präsident, wieder antreten kann. Er steht unter Mafiaverdacht.

© SZ vom 6.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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