Porträt Elisabeth Raiser:Die evangelische Kirchentags-Präsidentin

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Elisabeth Raisers langer Weg zum ökumenischen Gipfel. Ein Porträt der evangelischen Kirchentags-Präsidentin Elisabeth Raiser.

Der Aufzug ist kaputt. Wer Elisabeth Raiser in dem Menschensilo mit Aussicht auf den Tegeler See besuchen will, wo sie bis zum Kirchentag wohnt, der muss Treppen steigen, sieben Stockwerke hoch. Oben steht die drahtige 62-Jährige und sagt belustigt: "Das ging ja schnell - sind Sie Bergsteiger?" Die evangelische Präsidentin des ersten ökumenischen Kirchentags jedenfalls ist Bergsteigerin.

Und vieles, was man lernen muss, um heil auf den Gipfel und wieder herunter zu kommen, hilft auch, wenn man einem katholisch-evangelischen Großtreffen vorsteht. Zum Beispiel, dass mit der Kondition schnell am Ende ist, wer die Tour zu schnell angeht. Oder dass in Gefahr gerät, wer seine Begleiter zurücklässt. Und dass sein Ziel erreicht, wer unverdrossen, mit stetigem Schritt nach oben steigt.

Elisabeth Raiser ist "enttäuscht, dass es keine gegenseitige Gastfreundschaft beim Abendmahl und der Eucharistie geben wird". Aber hätte die evangelische Seite darauf bestehen sollen, dass nach ihrer Auffassung jeder getaufte Christ zum Abendmahl geladen ist? Während die katholischen Bischöfe deutlich machten, dass sie hier keine Zugeständnisse machen würden. Und wieder hatte Elisabeth Raiser etwas gelernt über die Schwestern und Brüder im Zentralkomitee der deutschen Katholiken: dass die Haltung der Bischöfe Wirkung hat auf das, was das ZdK tun darf - schwer vorstellbar für den Evangelischen Kirchentag, der ein unabhängiger Verein ist.

Lieber kleinere Schritte

Aber deswegen sieben Jahre gemeinsame Arbeit zerstören? Dann lieber den Schritt kleiner messen. Elisabeth Raiser legt in ihrer freundlich- diplomatischen Art Wert darauf, "dass es falsch wäre, die katholische Seite zu überfordern" - ihr katholischer Mitpräsident, der ehemalige sächsische Wissenschaftsminister und ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer, registriert dies dankbar.

Dass jemand für die Ökumene lebt, mag ansonsten eine dieser übertreibenden Floskeln sein - bei Elisabeth Raiser kommt sie der Wahrheit nahe. Wobei - "darauf lege ich Wert" - Ökumene das Miteinander der Christen auf der ganzen Erde meint, nicht nur den evangelisch-katholischen Theologendiskurs. Ihr Vater ist Carl Friedrich von Weizsäcker, der Physiker und Philosoph.

Mutter von vier Töchtern

Er rief 1985 auf dem Kirchentag zu einem weltweiten christlichen Konzil auf - daraus entstand der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der eine wichtige Motivation für die christlichen Oppositionsgruppen im Ostblock war. Ihr Patenonkel und Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker war Präsident des Kirchentags. Und ihr Mann, Konrad Raiser, ist Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Die Mutter von vier Töchtern hat aber, was nicht ganz einfach ist bei so viel evangelisch-ökumenischer Prominenz in der Umgebung, ihr eigenes Profil entwickelt.

Sie lehrte am "Atelier Œcuménique de Théologie" in Genf und ist Co- Direktorin des European Women's College in Zürich; Gerechtigkeit für Frauen, weltweit und auch in den Kirchen und in der Theologie, das ist ihr Thema.

Sie ist Mitherausgeberin der kritisch-christlichen Zeitung Publik-Forum. Beim "Konziliaren Prozess" half ihr das Talent, vielen verschiedenen Menschen eine gute Gesprächspartnerin sein zu können, um Katholiken, sehr verschiedene Protestanten und sehr hartleibige Orthodoxe beieinander zu halten.

Was sie in den vier Jahren, in denen sie nun Kirchentags-Präsidentin ist, von den Katholiken gelernt hat? Wie stark dort das "Wir"-Gefühl ist, allen innerkatholischen Unterschieden zum Trotz; wie selbstverständlich das Bewusstsein, Teil einer Weltkirche zu sein. "Gleichzeitig ist mir aber auch klar geworden, warum ich evangelisch bin", sagt sie.

Der Freiheit wegen, "die ja nicht Beliebigkeit bedeutet", wie sie betont. Der Intellektualität wegen, der selbstverständlichen Bibelfrömmigkeit. Und weil die Laien wichtiger sind - die promovierte Historikerin und ausgebildete Lehrerin für Geschichte und Französisch hat selber nie Theologie studiert. "Aber insgesamt", so fügt sie hinzu, "ist das Verbindende viel größer als das Trennende."

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