Porträt:Der Spezl des Landvolks

Lesezeit: 4 min

Warum der Staatskanzleichef Erwin Huber in seiner niederbayerischen Heimat Reisbach sogar von der SPD verehrt wird.

Rolf Thym

Neulich hat der mächtige CSU-Politiker, der in seinem niederbayerischen Heimatort Reisbach nur "der Erwin" heißt, den Bürgermeister und Parteifreund Sepp Steinberger um einen Gefallen gebeten: Es wäre ihm sehr daran gelegen, meinte Staatskanzleichef Erwin Huber, dass die Reisbacher, namentlich die örtliche CSU, in der gegenwärtigen heißen Debatte um den künftigen Ministerpräsidenten auf jegliche Intervention seine Person betreffend verzichten. Schließlich solle doch "kein Unfrieden" in die Entscheidung der Landtagsfraktion getragen werden.

Erwin Huber ist "am Boden geblieben" - so sehen es seine Freunde in Reisbach (Foto: Foto: AP)

Mit Fleiß und Ausdauer in den Polit-Olymp

Der Bürgermeister Steinberger und der CSU-Ortsverbandsvorsitzende Bernhard Gruber versichern, dass sie sich an die Bitte Hubers halten werden, auch wenn ihnen im Herzen ganz anders ist. Schließlich ist "der Erwin", der mit Innenminister Günther Beckstein um das Amt des bayerischen Regierungschefs konkurriert, ja einer von ihnen - ein Reisbacher, der dem Ort zur hohen Zierde gereicht.

Huber ist mit Fleiß und Ausdauer aus kleinsten Verhältnissen in die Höhen des bayerischen Polit-Olymps aufgestiegen. Nicht nur im eigenen Land gilt er etwas, sondern gelegentlich auch in der weiten Welt, wo er auf Staatsreisen dafür Sorge trägt, dass das schöne Bayern wirtschaftlich und politisch nach Kräften gedeihen möge. Der Bürgermeister ist ganz beeindruckt von den "großen Grundkenntnissen" seines Duz-Freundes, der ein "breites Spektrum hat: Finanzen, Medien, Technologie".

Da ist es dann auch keine besondere Überraschung, dass neulich die Christlich-Soziale Arbeitnehmerschaft und die Junge Union im Landkreis Dingolfing-Landau erklärt haben, es käme nur einer in Frage als neuer bayerischer Ministerpräsident: Erwin Huber.

Nach Auffassung des Reisbacher CSU-Chefs Gruber geht es immerhin um die Grundsatzfrage "Niederbayern oder Franken, ganz einfach". Zwar "mögen wir den Herrn Beckstein als Person und als Innenminister", bekennt Gruber mit erkennbarem Bemühen um innerparteiliche Deeskalation, "aber unser Herz schlägt für den Huber Erwin". An den Reisbacher Stammtischen seien "alle ausnahmslos" dafür, dass der berühmte Sohn der 7600 Einwohner zählenden Marktgemeinde Bayern regieren müsse, weil dieses Amt "natürlich das Sahnehäubchen" auf dessen Karriere wäre.

Abi am Abendgymnasium

Erwin Huber wurde am 26. Juli 1946 in der zu Reisbach gehörenden Einöde Untergries im damaligen Landkreis Dingolfing geboren. Vaterlos wuchs er auf. Seine Mutter, eine Kriegswitwe, brachte ihre drei Söhne als Näherin durch.

Erwin, der Jüngste, absolvierte die Reisbacher Volksschule, legte in der Realschule Dingolfing die Mittlere Reife ab, begann am Finanzamt der Kreisstadt die Ausbildung zum Steuerinspektor, holte am Abendgymnasium in München das Abitur nach, legte die Prüfung zum gehobenen Dienst ab, wechselte 1970 als Beamter ins Münchner Finanzministerium und studierte parallel dazu fünf Jahre lang Volkswirtschaft. Mit seiner Frau Helma, der Tochter des ehemaligen SPD-Bürgermeisters Herbert Niedermeier im Reisbacher Nachbarort Frontenhausen, ist Huber seit 1979 verheiratet. Das Paar hat einen Sohn, der als Informatiker arbeitet, und eine Tochter, die noch studiert.

Sepp Steinberger, der seit 32 Jahren Bürgermeister in Reisbach ist, kennt Erwin Huber seit dem gemeinsamen Ministrieren. 1968, als die Republik Studentenunruhen und turbulente Apo-Versammlungen erlebte, suchte Steinberger ein politisches Nachwuchstalent für den damals gerade vakanten Posten des Kreisvorsitzenden der Jungen Union. Damals, erinnert sich der Bürgermeister, "habe ich den Erwin für die CSU geworben". An seinem Spezl sei ihm schon früh aufgefallen, dass er "kooperativ war" und die Fähigkeit besessen habe, "andere zu begeistern, zusammenzuführen und zu führen".

Huber wurde also Vorsitzender der JU im Kreis Dingolfing, schnell rückte er zum JU-Bezirkschef auf, 1978 wurde er in den Landtag gewählt - und stetig ging es aufwärts mit ihm auf der politischen Karriereleiter: CSU-Generalsekretär, niederbayerischer CSU-Bezirksvorsitzender, Leiter der Staatskanzlei im ersten Kabinett Stoiber, Finanzminister, dann wieder - seit 1998 - Chef der Staatskanzlei.

Weitgehend unbeschädigt hat er so manche Turbulenz überstanden - mehr oder minder heftige Reibereien mit der CDU und sowieso mit der Landtags-Opposition, die Affäre um den Steuerflüchtling Eduard Zwick und die Insolvenz der Kirch-Media-Gruppe. Er steht im Ruf, "Stoibers Wadlbeißer" und ein "knallharter Charmeur" zu sein. Seitdem er die verästelten Organisationsstrukturen des Freistaats aus Gründen der Sparsamkeit neu erfinden muss, gilt er den einen als eiskalter Sanierer und den anderen als eine neuzeitliche Ausgabe des Grafen Montgelas, der das erste moderne bayerische Staatswesen geschaffen hatte.

"Schwarzes Loch"

Viele neue Freunde hat sich der katholische Reformator Huber mit seiner Organisationsreform nicht gemacht - gerade nicht bei Staatsbeamten. Die Reisbacher aber, zumindest die CSU-Parteigänger, verehren ihn geradezu, menschlich gesehen: "Er ist am Boden geblieben, und das ist das, was in seiner Heimat so geschätzt wird", sagt der Bürgermeister, der noch gut in Erinnerung hat, wie der Spezl vor knapp 30 Jahren "unter körperlichem Einsatz" sein hübsches Einfamilienhaus in der Ortsmitte gebaut hat. Wie schon in seiner Jugend sei Huber auch jetzt noch "ein bekennender Kolpingsohn", dazu Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, des Trachtenvereins und des TV Reisbach, für den Huber früher mal Fußball gespielt hat. Den Kicker Huber beschreibt Steinberger so: "Bestimmt, aber fair."

Seit 33 Jahren ist Huber Mitglied des Kreistags Dingolfing-Landau - "fast zu jeder Sitzung", sagt der Bürgermeister, "erscheint er". Der CSU-Ortsvorsitzende Bernhard Gruber freut sich, wenn der Chef der Staatskanzlei gelegentlich bei Vorstandssitzungen der Partei vorbeischaut.

"Wir sind sehr froh, dass wir ihn haben", nicht zuletzt deswegen, weil er ab und an behilflich ist, möglichst interessante Redner für Parteiveranstaltungen aufzutreiben. Es ist gut möglich, dass sich Hubers Wirken für die CSU der Marktgemeinde auch bei den Kommunalwahlen immer wieder bemerkbar macht: Von den 20 Gemeinderäten stellen die Christsozialen immerhin elf, sieben sind bei den Freien Wählern, nur zwei Sitze hält die SPD.

Der SPD-Gemeinderat Gerhard Piorek ist mit Erwin Huber übrigens auch per Du - beide kennen sich aus gemeinsamen Fußballerzeiten. Was der sozialdemokratische Vereinsfreund von einem möglichen Ministerpräsidenten Huber hält? "Ich persönlich würde das für uns, den Ort Reisbach und den Landkreis gut finden. Über den Erwin kann ich nichts Schlechtes sagen", sagt Piorek. "Aber für die SPD wäre das schlecht, weil Reisbach eh so ein schwarzes Loch ist."

(SZ vom 22.10.2005)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: