Polizeigewalt in Deutschland:Am Pranger

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Es ist ein hässliches Bild, das Amnesty International in einem am Mittwoch vorgestellten Bericht der Polizei in Deutschland vorhält: Immer wieder würden unbescholtene Bürger, vor allem Ausländer, von gewalttätigen Beamten misshandelt. In fast allen Fällen steht Aussage gegen Aussage. Schon deshalb weisen Polizeigewerkschaften die Vorwürfe zurück.

Von Joachim Käppner

Die Verbrechen, die den Beschuldigten vorgeworfen werden, wiegen schwer: Sie sollen wehrlose Menschen gedemütigt und beleidigt, geschlagen und getreten haben, es gab sogar Misshandlungen, an denen das Opfer starb. Und die Dunkelziffer dürfte hoch sein, wie die Polizei in anderen Fällen wohl sagen würde. Nur in diesem Fall nicht: Denn die Beschuldigte ist die Polizei selbst.

Ankläger ist Amnesty International (ai). Die Menschenrechtsorganisation wirft den deutschen Sicherheitsbehörden anhaltende und "zahlreiche" Übergriffe vor allem gegen Ausländer vor. In seinem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Bericht "Erneut im Focus" äußert ai zudem Zweifel, ob die Behörden solche Übergriffe mit dem nötigen Nachdruck ahnden. Der Vorwurf: Wenn Polizisten prügeln, schaut der Staat oft weg.

Das Problem ist nur, dass die meisten Bundesländer keine Statistiken über Gewaltvorwürfe gegen Beamte führen und die Staatsanwaltschaften Ermittlungen gegen Polizeibeamte meist einstellen. 1999 untersuchten Niedersachsens Staatsanwälte 97 Beschwerden über Körperverletzung im Amt, zwei Polizisten wurden verurteilt. Die "Aktion Courage" hatte am Dienstag 70 Fälle von Polizeiübergriffen gegen Ausländer in den Jahren 2000 bis 2003 veröffentlicht.

Amnesty spricht von einer "erheblichen Dunkelziffer". Polizeigewalt trifft meist nicht den Durchschnittsbürger, sie spielt sich häufig an sozialen Brennpunkten ab, wo die Belastung der Beamten hoch ist und auch unbescholtene Ausländer leicht als Verdächtige gelten. Bei acht der 20 von Amnesty dokumentierten "exemplarischen" Vorfälle waren die Betroffenen Afrikaner.

Der 59-jährige Doviodo Adekao aus Togo ist auf dem rechten Auge blind, seit er, wie er aussagte, in Mettmann von einem mit seiner Abschiebung beauftragten Beamten geschlagen wurde. Der in Berlin lebende Kenianer N., irrtümlich für einen Autodieb gehalten, wurde von Polizisten geschlagen, mit Pfefferspray besprüht und von einem Polizeihund gebissen.

Der Fliesenleger Josef Hoss aus Sankt Augustin wurde aus dem Auto gezerrt und geschlagen, bis er das Bewusstsein verlor. Die Vermummten waren Polizisten. Ein Nachbar hatte Hoss des illegalen Waffenbesitzes bezichtigt.

In keinem dieser Fälle wurden die Beamten verurteilt. Für die Polizei belegt dies, dass die Anschuldigungen haltlos waren. Für Barbara Lochbihler, die Generalsekretärin der deutschen ai-Sektion, zeigt es dagegen die "schleppenden, oft parteiischen Ermittlungen" der Justiz, die eher den Gegenanzeigen der Polizisten wegen Widerstandes glaubten als möglichen Opfern.

Amnesty fordert deshalb Konsequenzen, am dringlichsten eine staatliche Zentralstelle zur Erfassung dieser Fälle sowie ein unabhängiges Kontrollgremium, das Beschwerden über Polizeibrutalität nachgehen dürfe.

Die politische Bereitschaft, die Forderungen zu erfüllen, ist gering. Zwar fordert die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), die Vorfälle "ernst zu nehmen". Doch bisher hat Deutschland nicht einmal das Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention der UN unterzeichnet, das etwa Besuche neutraler Beobachter in Haftanstalten und Polizeiwachen erlaubt.

Andererseits wirft der Amnesty-Bericht Fragen auf. Er erwähnt nicht, dass die Zahl der Anzeigen gegen Polizeibeamte auch deshalb dramatisch gestiegen ist, weil Täter damit die Ermittlungen erschweren wollen. Im kriminellen Türsteher-Milieu, so ein Mitglied einer Berliner Sondereinheit, "gehört das inzwischen dazu: Wir holen einen Drogenhändler aus der Wohnung, anderntags kommt die Anzeige".

Noch nie wurde ein Beamter der Einheit verurteilt. Doch die Staatsanwaltschaft und die Abteilung für innere Angelegenheiten ermitteln dann, oft ruhen solange sogar Beförderungsverfahren. Entsprechend problematisch ist die Amnesty-Forderung, Gegenanzeigen von Beamten gegen mutmaßliche Opfer von Polizeigewalt "sollten bis zum Ausgang der Ermittlungen über ein etwaiges strafbares Verhalten der Polizei ruhen".

Für "blanken Unsinn" hält das Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei: "Amnesty sollte lieber einen Bericht über Polizeibeamte als Opfer verfassen": Jährlich würden immerhin 700 Polizisten im Dienst verletzt.

SZ vom 15.01.2004

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