Politisches Nachspiel:Berlin wegen Visa auch in Europa unter Druck

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Aus Portugal kommt der Vorwurf, Deutschland sei für die Einreise von hunderttausenden Schwarzarbeitern aus Osteuropa in die EU verantwortlich. Die EU-Kommission will prüfen, ob die deutsche Regelung der Visa-Vergabe gegen europäisches Recht verstößt.

In der Affäre um die Visa-Vergabepraxis gerät die Bundesregierung jetzt auch auf europäischer Ebene unter Druck. Die EU-Kommission kündigte am Wochenende eine Prüfung an, ob der so genannte Volmer-Erlass und die inzwischen gültige Neuregelung gegen europäisches Recht verstoßen.

Aus Portugal kam der Vorwurf, Deutschland sei für die Einreise von hunderttausenden Schwarzarbeitern aus Osteuropa in die EU verantwortlich. Die illegalen Arbeitskräfte haben nach Berechnungen von CDU/CSU allein in Deutschland einen Schaden von weit über 60 Milliarden Euro angerichtet.

Die Union forderte Außenminister Joschka Fischer (Grüne) indirekt zum Rücktritt auf. Allerdings geriet nun auch ein Unions-Politiker in die Kritik. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat sich bei Fischer für großzügige Visa-Erteilungen an chinesische Touristen nach dem umstrittenen Reisebüroverfahren eingesetzt.

"Endlich verbal abrüsten"

Das Auswärtige Amt hatte dagegen vor einem Missbrauch der erleichterten Visa-Vergabe in China gewarnt. Grünen-Chefin Claudia Roth riet Kochs Parteifreunden, "endlich verbal abzurüsten".

EU-Justizkommissar Franco Frattini prüft die deutsche Vergabe- Praxis auf Antrag von Europa-Abgeordneten der Union. Frattinis Sprecher sagte am Samstag in Brüssel, die Kommission nehme eine juristische Prüfung vor, keine politische Bewertung des Vorganges.

"Die Umsetzung der Schengen-Regeln ist Sache der Mitgliedstaaten, aber deren Vorschriften müssen natürlich dem EU-Gesetz entsprechen", sagte der Sprecher. Die Prüfung werde lange dauern.

Der Vize-Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Portugals früherer Außenminister, Joao Deus Pinheiro, sagte der Bild am Sonntag, die Visa-Politik Deutschlands sei ein Bruch des Schengener Abkommens gewesen. Hunderttausende Schwarzarbeiter seien nach ganz Europa eingereist, weil deutsche Botschaften in Osteuropa zu leichtfertig Schengen-Visa ausgestellt hätten.

Festnahmen und Hinweise bereits im Jahr 2002

Laut Welt am Sonntag haben spanische und portugiesische Diplomaten in der Ukraine bereits zur Jahreswende 2002/2003 ihre deutschen Kollegen darüber informiert, dass Schwarzarbeiter in ihren Ländern mit deutschen Visa aufgegriffen wurden.

Die Visa-Vergabepraxis in den GUS-Staaten in den Jahren 1999 bis 2004 hat Deutschland nach Angaben des Union-Arbeitsmarktexperten Karl-Josef Laumann jährlich etwa elf Milliarden Euro gekostet.

Wenn rund 600.000 Schwarzarbeiter aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion ebenso viele Durchschnittsverdiener mit 30.000 Euro jährlich ersetzt hätten, betrage der Ausfall an Sozialabgaben und Steuern diese Summe, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Die Berliner Zeitung berichtet unter Berufung auf die Union sogar von 19 Milliarden Euro Ausfällen pro Jahr. CDU-Chefin Angela Merkel warf Fischer vor, "Schlamperei" unter seiner Verantwortung habe eine "Form der modernen Sklaverei" möglich gemacht. Grünen-Fraktionschefin Krista Sager wies dies zurück.

Fischer den Rücktritt nahe gelegt

Der CDU-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss, Eckart von Klaeden, legte Fischer indirekt den Rücktritt nahe. Es seien "schon Minister aus wesentlich geringeren Gründen zurückgetreten", sagte er. Hessens Regierungschef Koch bekannte sich "aus voller Überzeugung und mit gutem Gewissen" zu seiner Bitte um großzügige Visa-Erteilung für chinesische Touristen und Kaufleute.

Diese mit ukrainischen Schwerkriminellen zu vergleichen, zeige nur, dass "Fischer das Wasser in seiner Affäre längst bis zum Halse steht", sagte sein Sprecher. Für China wird nach einer Vereinbarung der EU seit September 2004 das Reisebüroverfahren in den 13 Staaten angewendet, die dem Schengen-Abkommen für Reisefreiheit beigetreten sind.

Dabei werden für Gruppenreisen Visa über bei der chinesischen Regierung akkreditierte chinesische Reisebüros vergeben, ohne dass die Antragsteller persönlich vorsprechen müssen. Dieses Verfahren galt als eines der Einfallstore beim Visa-Missbrauch in der Ukraine.

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