Politik und Medien:Eine verlorene Liebe

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Der Medienkanzler Gerhard Schröder entzaubert sich selbst - er kämpft gegen das System, das ihn groß gemacht hat.

Von Hans-Jürgen Jakobs

Am Anfang war das Bild. Zwei wichtige Männer standen lächelnd mit ihren Frauen vor der schönen Saarschleife und symbolisierten der Welt: Wir zwei werden es schaffen. Und die Welt verstand, dass Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder sich wirklich zusammengerauft hatten, um die Republik zu übernehmen. Was für eine Verheißung!

(Foto: Foto: dpa)

Dem fotografierten Wander-Idyll aus dem August 1997 sind noch viele Inszenierungen des Systems Schröder gefolgt. Erst einmal nach der Wahl 1998 in der Machtzentrale angekommen, zeigte sich der Sozialdemokrat in Gala sogar im Brioni-Anzug - eine, wenn auch verunglückte, Botschaft an die Neue Mitte: Seht, wir steigen auf und genießen das Leben.

Später war der Kanzler Held eines amerikanisch gestalteten Jubel-Parteitags. Oder der nette Grüßonkel in Wetten, dass...? Oder vorderster Kämpfer gegen die Oder-Flut.

Das war der Medienkanzler Gerhard Schröder, wie er die Mediengesellschaft verstand. Er sorgt für die Zukunft, und die Fernsehsender und Zeitungsreporter für seine glanzvolle Gegenwart. Alles schien machbar in der sozialdemokratischen Musterwelt.

Hatten nicht auch Tony Blair und seine "spin doctors" mit der Methode Medienmanipulation ein Land wie Großbritannien erobert?

Heute, sechs Jahre danach, tritt ein anderer Kanzler auf. Verbittert. Desillusioniert. Um sich schlagend. Einer, der sogar glaubt, es könne ihm nutzen, den georteten Feind Bild-Zeitung aus der Axel Springer AG mit einem Interview-Boykott zu belegen.

Szenen eines Zwangsmanagements

Die Bengels von der Boulevardpresse, aber auch vom frech gewordenen Stern, bekamen bei der jüngsten Auslandsreise - offiziell aus "Platzgründen" - keine Sitze im Kanzlerflugzeug mehr. Ausgeladen?

Regierungssprecher Béla Anda, ein früherer Bild-Redakteur, bekräftigte im TV-Politmagazin Monitor, Schröder werde Bild keine Interviews mehr geben: "Nicht mehr sinnvoll."

Es sind Szenen eines Zwangs-Managements wie bei dem Vorgänger Helmut Kohl, der jahrelang den Spiegel mied. Ersatzweise ärgert Schröder die Bild-Leute mit einer bevorzugten Behandlung von Bild am Sonntag, die er, anders als Bild, mit auf die Reise nahm.

Bild, Bams und Glotze

Dabei hatte Schröder noch zu Beginn seiner ersten Amtszeit locker mit den Journalisten von Bild kooperiert. Es gab menschelnde Geschichten aus dem Hause Schröder über ein neues Auto und einen neuen Hund, die glückliche Mutter und die glückliche Ehefrau; hässliche politische Angriffe unterblieben.

Dann aber kam der Bundestagswahlkampf 2002 - und der Medienkanzler, der die Themenagenda so gern kontrollieren möchte, musste sich über Privataffären-Geschwätz ärgern, über angeblich gefärbte Haare und über Berichte, die nach seiner Meinung dem Gegenkandidaten Edmund Stoiber schmeichelten.

Das sei eine "infame Kampagne" gewesen, urteilte der Kanzler später über Bild und sagte gleich nach der Wahl in der SPD-Fraktion: "Behandelt sie so, wie sie uns behandelt haben." Schlagt also zurück!

Gleichzeitig aber treibt eine solche Disziplinierungs-PR die Redaktionen der Republik zur Solidarisierung. Kein Journalist mag es, wenn unliebsamer Journalismus abgedreht werden soll.

So wandten sich nun die Chefredakteure von Stern, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Financial Times Deutschland und taz zusammen mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann per Brief an den Vorsitzenden der Bundespressekonferenz (BPK).

Regierungssprecher Anda habe in Monitor bestätigt, dass die jüngsten Ausladungen von Bild und Stern "eine Reaktion auf kritische Berichterstattung in den betroffenen Medien gewesen sind". Damit habe er "nicht nur seine Kompetenzen als Beamter überschritten, sondern zugleich die Freiheit der Berichterstattung in Frage gestellt". Anda solle "seine Boykottpolitik umgehend beenden".

Fazit der Chefredakteure: "Was in diesen Tagen Reportern von Stern und Bild im Umgang mit der Bundesbehörde Presse- und Informationsamt passiert, kann jedem anderen Journalisten im Falle missliebiger Berichterstattung ebenfalls passieren."

Der attackierte Anda verweist im Antwortbrief darauf, dass Bild seit Januar 1999 "bei mindestens 25 Kanzlerreisen an Bord" gewesen sei - so oft wie kein anderes Medium. Im Rahmen der Gleichbehandlung vor Ort stünde allen Korrespondenten der Zugang zu offenen Presseterminen frei - "von einem Boykott kann also keine Rede sein". Über die Passagiere im Kanzlerjet sei von Fall zu Fall zu entscheiden.

"Der Medienkanzler entzaubert sich selbst", kommentiert der Hamburger Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg die Lage. Er spricht von "enttäuschter Liebe". Das zielt auf die oft kolportierte, freilich nie offiziell bestätigte These Gerhard Schröders, er brauche zum Regieren nur " Bild, BamS und Glotze".

In dieser Logik muss Bild Schuld sein, wenn Wahl- und Umfrageergebnisse sinken. Es gebe offenbar, so Weischenberg, in der Regierung eine sehr naive Vorstellung von Boulevard-Journalismus.

Eher lahm

Sicher: Bild-Chef Diekmann mag Kohl mehr als Schröder. Er macht auch "Kampagnen" - pro Dieter Bohlen und gegen Eva Herman, zur Dschungel-Show oder zu einer "sündigen Film-Diva".

Die letzte politische Kampagne aber war erkennbar eine für Schröders Steuerreform, worüber sich CDU-Stratege Roland Koch ziemlich geärgert hat. Tatsächlich ist Bild im Umgang mit handwerklichen Pfuscharbeiten der Bundesregierung eher noch lahm im Vergleich zu Organen, die einst zum Freundesmilieu des SPD-Kanzlers gehörten: Zeitschriften wie der Stern, in dem der Berliner Büroleiter Ulrich Jörges jüngst über drei Seiten hinweg eine atemlose Anti-Schröder-Suada publizierte.

Oder der Spiegel, der dem Kanzler in schöner Regelmäßigkeit staatstragende Interviews ermöglichte, zu Karneval allerdings dessen Kabinett ("Lachnummer Deutschland") in enge Verbindung zu Narrenklubs brachte.

Es ist nicht viel geblieben von der subtil-freundlichen Kontrolle über die Medienlandschaft, die sich Schröder vorgenommen hatte. Der Kanzler kümmerte sich, als der rechtskonservative Rupert Murdoch die vielen Fernsehsender des insolventen Leo Kirch übernehmen wollte.

Der Kanzler förderte vor der Wahl ein TV-Duell, bei dem sich die Journalisten in ein unjournalistisches Fragekorsett zwängen ließen. Der Kanzler interessierte sich selbst für ein neues politisches Monatsmagazin namens Cicero.

Die Frau als Kommunikatorin

Nun aber ist ihm im deutschen Mediensystem als bon ami vielleicht am ehesten noch WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach geblieben, sein erster Kanzleramtschef, der Blair stets als Vorbild im Blick hatte.

Die so wichtige Kommunikationsarbeit liegt de facto auch bei seiner Frau Doris Schröder-Köpf - jedenfalls nach den Erzählungen vieler, die sich mit den Usancen bei Hofe auskennen.

Sie war Boulevard-Journalistin bei Bild in Bonn, beim Express und arbeitete für Focus. Sie kennt sich aus im Geschäft - und doch macht ihr Mann kaum verzeihliche PR-Fehler. Dazu gehört, dass Schröder gegen wüste Behauptungen vom getönten Kanzlerhaar vor Gericht zog.

Bilder, Themen, Sieger

Nach Stand der Dinge hat Doris Schröder-Köpf nach wie vor über Back-Channels Kontakte zu Bild, aber selbst diese Nähe zu den Ex-Kollegen macht das Debakel nicht kleiner.

Die Republik erlebt die Polit-Soap vom Machtverlust in der Qualität einer trivialen Fernsehserie, die ja tatsächlich auch vom ZDF (Das Bundeskanzleramt) geplant wird; sie gleicht in Tempo und Würze dem abgesetzten Lustspiel vom Aufstieg einer machiavellistischen Polit-Truppe aus Hannover.

Schröder glaubte, durch und mit den Medien regieren zu können; jetzt, wo ihm auch treueste Wegbegleiter verloren gehen sind, bleibt nur der Augenblick der Leere vor dem Einsetzen des Abspanns eines Kinofilms.

Vielleicht zirkulieren bald Verschwörungstheorien. Oder Dolchstoßlegenden.

Böse Bild!

Wie stark die Beziehungen der rot-grünen Politiker selbst zu ihnen wohl gesonnenen Journalisten gelitten haben, zeigt die Debatte um die Autorisierung von Interviews.

Der Sprecher des Noch-SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz hatte einem taz-Interviewer ganze Fragen aus dem vorgelegten Text gestrichen. Es werde häufig das Falsche in solchen Interviews verarbeitet und dann auch noch eingespeist in die Verwertungsmaschine der Nachrichtenagenturen, klagen PR-Chefs der Berliner Koalition.

Beliebt ist hier der Vorwurf einer "virtuellen Politikwelt" in den Medien, die Gerüchte und Nuancen aufbauschten, um für einen Tag ein Thema zu haben. Wie schön war da doch die Zeit, als wichtige Journalisten noch Seit' an Seit' mit dem Kanzler die Neue Mitte abschritten.

Nun schlägt das System zurück. Schröder fehlen die Bilder, die Themen, die Sieger. Der sparsame Hans Eichel mit seinen Sparschweinchen auf dem Schreibtisch - längst ein "blanker Hans" auf Abruf.

Der eiserne Otto Schily, der die Kriminellen in Schach hält - ein zunehmend kauziger 71-Jähriger, der mit der Standortfrage BKA überfordert ist.

Die Ost-Integrationsfigur Manfred Stolpe - ein Zauderer, der aus dem Verkehr genommen werden könnte.

Und die Konsequenz in Berlin? Schon gibt es Gerüchte um eine Ablösung von Sprecher Anda, was der dementiert: "Jeder bleibt an seinem Platze." Die schwierigen Reformen seien von seinem Amt gut kommuniziert worden. Es gebe bei den Journalisten "soviel Anpassung an den Mainstream", klagt einer aus Schröders Kreis: Sie schrieben einen Machtwechsel herbei.

"Ich lasse mich nicht vom Hof jagen"

Des Kanzlers Kombattanten spüren, dass die Bilder, die Themen und die Sieger vorerst bei der Union sind. Sie mögen es nicht, dass sich rund um die machtbewusste Parteichefin Angela Merkel ein einflussreicher Frauenarbeitskreis gefunden hat, zu dem offenbar Sabine Christiansen und Patricia Riekel ( Bunte) sowie die Verlegerinnen Friede Springer und Gudrun Bauer gehören.

Vorbereitet wird hier der "Neue Konservativismus" - nicht mehr penetrant rechts und verzopft, sondern irgendwie modern, emanzipiert, tolerant. "Ich lasse mich nicht vom Hof jagen" - das ist eine Standardfloskel des Aufsteigers Gerhard Schröder, der es aus armen Verhältnissen ganz nach oben schaffte.

Nicht vom Hofe jagen lassen - schnell trat Schröder vom SPD-Parteivorsitz zurück, als sich erste Landesverbände gegen ihn formieren. Wenn seine Macht weiter schrumpft, weil Wahlen wie in Hamburg verloren gehen, rechnen Vertraute auch mit einem plötzlichen Verzicht auf die Kanzlerschaft. Für Schröder zählen in dieser Frage subjektive und objektive Faktoren.

Kategorie eins: Was halten bis September die Journalisten von ihm? Wie ist sein Image?

Kategorie zwei: Gibt es weniger Arbeitslose? Wächst die Wirtschaft? Es kann also ganz schnell gehen.

Spaßeshalber brachte Schröder im internen Kreis nach Berichten aus Regierungskreisen schon auf, er könne ja nach New York ziehen, in jene Metropole, die Doris Schröder-Köpf so liebt, seit sie dort gelebt hat.

Anda erklärt, das sei nie gesagt worden. Wie auch immer: Der Medienkanzler braucht für den Fall der Fälle einen starken Abgang.

Auch am Ende geht es um das richtige letzte Bild. (Und vielleicht hat das dann wieder Bild) Und vielleicht wieder um Bild.

© SZ vom 6.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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