Politik in Frankreich:Das Elend der dritten Kraft

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In Frankreich droht der politischen Mitte immer die Zerreibung. Ob es dem Zentristen Bayrou gelingen wird, eine neue demokratische Partei zu etablieren, erscheint daher zweifelhaft.

Johannes Willms

Die Geschichte des politischen Lebens in Frankreich ist seit der Revolution von 1789 geprägt durch die "clivage", die Konkurrenz einer rechten und einer linken Strömung. Diese Polarisierung der Politik vereitelte es weitgehend, dass sich eine Mitte etablieren konnte.

François Bayrou wirbt um die politische Mitte (Foto: Foto: AP)

Einen ganz entscheidenden Beitrag dazu leistete aber auch das Fehlen einer lokalen und regionalen Selbstverwaltung, die ja das für die politische Mitte lebenswichtige Biotop darstellt, weil hier über Fragen und Probleme entschieden werden muss, die sich nicht unbedingt ideologisch mit der rechten oder linken Strömung verrechnen lassen.

Ebendies verhindert in Frankreich die straffe politische und verwaltungstechnische Zentralisierung, die alle Entscheidungen in Paris konzentriert. Das bedingt eine nationale Politisierung lokaler oder regionaler Belange, die noch dadurch akzentuiert wird, dass Minister und Abgeordnete oft gleichzeitig auch das Amt eines Bürgermeisters im Hauptort ihres Wahlkreises ausüben.

Partei der Mitte füllte Vakuum

Erst im Zusammenhang mit dem Chaos am Ende des Zweiten Weltkriegs konnte deshalb die Mitte als eine politische Kraft in Erscheinung treten, als neben den dominierenden ideologischen Tendenzen der kommunistisch und gaullistisch inspirierten Widerstandsbewegung sich auch eine starke christlich-demokratische Strömung im Zusammenhang mit der Libération geltend machte.

Diese organisierte sich im November 1944 als "Mouvement républicain populaire" (MRP), das sich bei den Wahlen für die zweite Verfassungsgebende Versammlung 1946 als stärkste Partei etablierte.

Voraussetzung dafür war jedoch, dass der MRP das wegen der Diskreditierung der traditionellen konservativen Parteien auf der Rechten herrschende Vakuum allein füllte.

Diese Monopolstellung wurde jedoch schon Ende 1946 in Frage gestellt, als der gaullistische "Rassemblement du peuple français" (RPF) lanciert wurde, der rasch immer größere Wählerschichten, die für die traditionelle Rechte votiert hatten, an sich band.

Damit begann der Niedergang der MRP, die von der gaullistischen Rechten und der sozialistisch-kommunistischen Linken zerrieben wurde. Dieser Trend ließ sich auch nicht durch eine programmatische Schärfung des Parteiprofils umkehren, die sich vor allem im Eintreten der MRP für den Atlantikpakt und die europäische Einigung äußerte.

Hinscheiden der MRP

Insbesondere die vom MRP betriebene deutsch-französische Aussöhnung stieß bei einer überwiegend deutschfeindlichen Wählerschaft auf Unverständnis. Mit dem Untergang der IV. Republik 1958, der Rückkehr de Gaulles an die Macht und der Proklamation der V. Republik wurde das endgültige Ende der MRP eingeläutet, auch wenn sich die Partei noch eine letzte Überlebensfrist dadurch sicherte, dass sie den linken Flügel der gaullistischen Mehrheit repräsentierte.

Der MRP verschwand 1965 bei dem von de Gaulle angesetzten Referendum über die Direktwahl des Staatspräsidenten, als er mit Nein stimmte und damit zu den Verlierern gehörte. Das von de Gaulle danach wieder eingeführte Mehrheitswahlrecht vernichtete dann endgültig die Überlebenschancen der Partei.

Nach dem Hinscheiden der MRP ergriff Jean Lecanuet das Banner des Zentrismus. Mit dem Programm einer demokratischen, sozialen und europäischen Zentrumspolitik errang er bei den Präsidentschaftswahlen 1965 sogar einen respektablen Stimmenanteil von fast 16 Prozent.

Das Ergebnis etablierte die Mitte aber nicht wieder als eine "dritte Kraft", sondern verschaffte Lecanuet lediglich den politisch wirkungslosen Anspruch, fast dreißig Jahre lang als deren Führer zu figurieren.

Im Februar 1978 ging die von Lecanuet geführte Strömung in der vom damaligen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing initiierten zentristischen "Union pour la démocratie française" (UDF) auf, die ihm im Blick auf die kurz darauf anstehenden Wahlen für die Nationalversammlung eine präsidentielle Mehrheit gegen die gaullistische Partei "Rassemblement pour la République" (RPR) verschaffen sollte, die sein Konkurrent Jacques Chirac im Dezember 1976 gegründet hatte.

Mitte ohne Chance

Nach der Niederlage Giscards in den Präsidentschaftswahlen 1981 sah sich die geschwächte UDF dazu genötigt, gemeinsam mit der RPR einen Block gegen das Linksbündnis von Kommunisten und Sozialisten zu bilden, der ihr prekäres Überleben bis heute gewährleistete.

Kurzum: Die Mitte als eine "dritte Kraft" hatte in Frankreich bislang keine Chance. Das gilt im besonderen für die V. Republik, die durch die 1965 eingeführte Direktwahl des Präsidenten die traditionelle "clivage" von Links und Rechts akzentuierte.

Zum anderen ist die V. Republik keine parlamentarische Demokratie, was zur Folge hat, dass die Parteien nur eine begrenzte politische Gestaltungsmacht besitzen.

Im Lichte dessen scheint es also zweifelhaft, ob sich der überraschende Erfolg des Zentristen Bayrou - des heutigen Chefs der UDF, der im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 18,54 Prozent erzielte - in dem von ihm angekündigten Sinne ausmünzen lassen wird, eine neue, von ihm geführte demokratische Partei als dritte Kraft im politischen Spektrum Frankreichs etablieren zu können, auch wenn laut jüngsten Umfragen 64 Prozent der Befragten diese Aussicht begrüßen.

Eine große Ungewissheit ist aber zunächst, ob es Bayrou gelingen wird, die über sechs Millionen Wählerstimmen, die er bei der Präsidentschaftswahl erhielt, seiner geplanten demokratischen Partei in den Wahlen für die Nationalversammlung zu sichern.

Keine Wahlempfehlung von Bayrou

Was daran zweifeln lässt, ist, dass nur ein Teil dieser Stimmen dem von ihm verkündeten Programm galt, während viele Wähler, die für ihn votierten, damit lediglich dem Misstrauen Ausdruck verliehen, das ihnen die beiden Spitzenkandidaten der großen Flügelparteien einflößten.

Alle Wähler Bayrous müssen sich aber im zweiten Präsidentschaftswahlgang am kommenden Sonntag zwischen Sarkozy und Royal entscheiden. In der Hoffnung, dass diese Wähler bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni wieder für ihn und sein Programm stimmen werden, verweigert Bayrou eine Wahlempfehlung für den zweiten Präsidentschaftswahlgang.

Das steht jedoch in einem markanten Widerspruch zur erklärten Haltung von rund zwanzig der 29 Abgeordneten der UDF in der Nationalversammlung, die sich bereits jetzt aus der verständlichen Furcht, nicht wiedergewählt zu werden, für Nicolas Sarkozy ausgesprochen haben.

Diese Ankündigung gefährdet nicht nur Bayrous Absicht, eine neue, unabhängige Kraft der Mitte dauerhaft zu etablieren, sondern es kompliziert vor allem auch das Vorhaben, die künftige demokratische Partei zunächst als eine Fraktion oder parlamentarische Gruppierung innerhalb der neuen Nationalversammlung zu organisieren, was nicht nur für deren Finanzierung entscheidend wäre.

Eine weitere große Unbekannte in Bayrous Strategie, die Mitte als eine "dritte Kraft" durchzusetzen, ist zum weiteren, ob die stillschweigend gehegte Spekulation in Erfüllung geht, dass infolge einer Niederlage der sozialistischen Kandidatin Ségolène Royal in der Präsidentschaftswahl die Sozialistische Partei auseinanderbricht.

Das würde ein Zusammengehen der von Bayrou geführten Zentristen mit dem sozialdemokratischen Flügel der Sozialisten sehr erleichtern, aus dem eine neue große Partei der linken Mitte hervorgehen könnte, die nicht nur das traditionelle Parteienschema Frankreichs aufmischte, sondern auch eine neue, eine VI. Republik wahrscheinlich machte. Auch in dieser Perspektive ist die diesjährige Präsidentschaftswahl in Frankreich die spannendste seit langem.

© SZ vom 02.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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