Polit-Feiern in Berlin:Der Sommer ist sehr groß

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Kulinarisch anspruchsvoll, eitel und absurd: Wie in der politischen Festsaison Berlins im Schatten der Schirme Illusionen gepflegt werden.

Stefan Braun

Man kann sagen, dass der Höhepunkt vorbei ist. Das Sommerfest, das am höchsten hinaus will, ist für diese Saison schon wieder Geschichte. Es findet alljährlich Anfang Juli auf dem Dach des Auswärtigen Amts statt, von hier aus hat man, in Konkurrenz zu allen anderen Sommerfesten der Hauptstadt, die bei weitem schönste Aussicht.

Günther Oettinger: Bei der Feier in der Vertretung von Baden-Württemberg war es so voll, dass auf die Nachbar-Botschaft ausgewichen werden musste. (Foto: Foto: dpa)

Wer hier einmal an einem lauen Sommerabend mit Joschka Fischer ein Gläschen Ausblick genossen hat, dabei über die Zukunft der Welt im Speziellen und des Kosmos im Allgemeinen diskutierte, kommt immer wieder.

Das Gefühl der Wichtigkeit ist nirgends größer. Mit Blick auf den Berliner Fernsehturm auf der einen und die Reichstagskuppel auf der anderen Seite verschmelzen die diversen Eitelkeiten bestens.

Nun muss man erwähnen, dass sich seit dem Ministerwechsel von Joschka Fischer zu Frank-Walter Steinmeier etwas verändert hat. Die Gespräche sind mit ihm bodenständiger geworden, mehr down to earth irgendwie, wie Vorgänger Fischer das selbst hier oben wahrscheinlich formulieren würde.

Außerdem stehen in diesem Jahr überall gepolsterte Korbsessel und Korbsofas, "Lounge-Charakter" lautet das Stichwort. Es ist, als habe mit Steinmeier auf der Dachterrasse ein bisschen auch Jürgen Klinsmann Einzug gehalten. Das Vereinsgelände des FC Bayern soll ja seit der Ankunft des Schwaben ganz ähnlich möbliert sein.

Eines freilich kann auch Steinmeier nicht verhindern: Dass hinein in die entspannte, alkoholbeflügelte Atmosphäre immer mal wieder Blitze der Realität saußen. Als ihn am Dienstagabend zu späterer Stunde ein Journalist als Kanzlerkandidaten begrüßt, bleibt Steinmeier nur eine sehr kurze Schrecksekunde, um zu reagieren. Seine Antwort: Er reicht die Hand und bedankt sich. Kommunikation in komplizierten Zeiten.

Was man natürlich nicht total ernst nehmen sollte. Wie man ohnehin nicht alles ernst nehmen sollte auf derlei Sommerfesten. In seiner Ansprache will Steinmeier über das nächste Jahr sprechen, es soll, ganz standesgemäß, um die Beziehung zu den USA gehen. Aber seine Sätze sind allesamt so formuliert, dass man sie auch auf die SPD und die Lage ihres Dann-wohl-Kanzlerkandidaten Steinmeier beziehen könnte.

Gemünzt aufs Jahr 2009 erklärt der SPD-Vize: "Das kann ein Jahr der Möglichkeiten werden, wir stehen vor wichtigen Wegmarken, da wird sich viel entscheiden." Das Publikum schmunzelt, Steinmeier schmunzelt mit. Wer es gehört hat, nickt wissend.

Lesen Sie, welche Feste man unbedingt einmal erlebt haben sollte und was das Besondere an der Feier der Baden-Württemberger war.

Ja, sie sind beliebt, diese Sommerfeste. Einerseits. Jedenfalls sind sie meistens rappelvoll, weil sie wie scheinbar sehr ungezwungene Informationsbörsen funktionieren - und weil die hungrigen Singles der Stadt froh sind, mit gutem Wein und meist feinen Speisen versorgt zu werden.

Andererseits sind diese Feste, was natürlich kaum einer zugeben würde, auch verdammt unbeliebt. Bei denen nämlich, die zwar kommen, weil sie beruflich keine Überraschung verpassen sollten, sich zwischen kulinarischen Freuden und ganz normaler Arbeit aber überhaupt nicht wohl fühlen.

Womöglich gibt es nirgendwo sonst derart viele Sommerfeste wie zwischen den Landesvertretungen, den Ministerien und dem Präsidentengarten der Hauptstadt - und nirgendwo gibt es so viele Menschen, die da hingehen, obwohl sie die Abende ganz und gar nicht schön finden.

Einmal verloren in der Masse

Ein Glas Wein in der Hand mit dem Fraktionsvize übers Wetter, die Familie, den Urlaub zu plaudern, während der eine (der Journalist) doch wissen will, was gerade mit der Parteiführung los ist, und der andere (der Politiker) sich wünscht, im nächsten Artikel über die politische Lage verschont zu werden - das grenzt nicht selten an ein absurdes Schauspiel.

Mehr als zwei Dutzend derartiger Festivitäten füllen zwischen dem Beginn der Saison Mitte Mai und den Sommerferien die Kalender. Mehr als zwei Dutzend weinbeseelte Gruppenbegegnungen, die - mit großem Aufwand betrieben - die Illusion nähren, es gebe für einen Abend nur Menschen, die frei von Job und Rolle den Sommer genießen.

Wobei man, so in der Gesamtschau, einräumen muss, dass es Feste gibt, die wirklich jeder mal erlebt haben sollte. Feste nämlich, in denen die große Politik sehr menschlich daher kommt: Sie taucht ein in die große Masse - und verliert alles, was an ihr besonders sein könnte. Kein großer Gestus, kein Machtgefühl. Einfach ein Glas Wein, dazu eine Currywurst.

In derlei Momenten steht ein Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, eine Justizministerin Brigitte Zypries, ja, selbst ein Präsident des Bundesnachrichtendienstes zwischen Unmengen von Leuten, und alle sehen sie aus wie Stadionbesucher in der Länderspielpause.

Um das zu erleben, muss man zum Beispiel Gast beim ZDF werden. Hier nämlich sind andere wichtiger als die meisten Politgrößen: Fernsehkomissare zum Beispiel oder Olympiasieger. Das Fernsehen hat ein sehr strenges Auswahlverfahren. Aber es lockt auch an, selbst Leute wie Otto Schily, der plötzlich mit einem Kinderwagen auftaucht.

Otto Schily, der Wachmann

Schily, einst der große Sicherheitsminister, hat an diesem Abend durchaus länger als ein paar Augenblicke Wachmannaufgaben. Er betreut, still auf einem Mäuerchen sitzend, den neuesten Nachwuchs seiner Tochter Jenny.

Neben all dem bietet die Saison auch jenen eine Bühne, die seit längerem fürchten, im politischen Weltengelenke unter die Räder zu kommen: den Bundesländern. Thüringen, Niedersachsen, Hessen - alle bieten sich an und füllen ihre Gärten, bis es keinen Zentimeter mehr gibt, wo man tatsächlich mal in Ruhe ein paar Worte wechseln könnte.

Und alle zählen für gewöhnlich die Minuten, die die Bundeskanzlerin bei ihnen weilt. Zeit ist Macht, selten wird das so konkret. Und Angela Merkel, man verrät da sicher nicht zu viel, hasst derlei Aufgaben.

Den Vogel abgeschossen haben in diesem Sommer die Baden-Württemberger. Wer sie besuchte, bekam nicht nur kaum noch einen Platz zum Stehen. Es war sogar so voll bei den Badenern und den Württembergern, dass das Festgelände auf die Nachbar-Botschaft ausgedehnt werden musste, die der Österreicher.

Bescheidenheit war gestern

Wo immer man an diesem Abend seinen Blick hinlenkte, es begegnete einem ein Wort: "Weltmarktführer". Mal stand dieser größte aller globalen Leistungsbeweise auf einem riesenhaften Plakat, mal bombardierten einen Großbildschirme damit.

Es ist noch gar nicht lange her, da zählten die Menschen aus dem Südwesten zu den bescheidenen und stillen, die sich auf keinen Fall wichtig machen wollten. Das aber, daran gibts nichts zu rütteln, hat sich in diesem Jahr dramatisch geändert. Jedenfalls auf der Bühne der Sommerfeste. Einst als Stallwächterparty ins Leben gerufen, ist sie eine Leistungsschau mit Schraubenbauern, Motorkolbenexperten und globalen Gerüstbauern geworden.

Wie lautete das Motto des Abends? Genau! "Wein. Schwein. Weltmarktführer." Das war dann doch der Gipfel.

© SZ vom 10.07.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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