"Polens neue Kartoffel":Viel Lärm um wenig

Lesezeit: 2 Min.

Eine Satire der taz bringt Polens wichtigste Politiker auf - ein gefundenes Fressen für die Opposition.

Thomas Urban

Zuerst glaubten alle an ein typisches Sommerloch-Thema, als die Warschauer Presse berichtete, Staatspräsident Lech Kaczynski sei über eine Satire in der Berliner Tageszeitung erzürnt.

"Polens neue Kartoffel": Lech Kaczynski findet die taz-Satire gar nicht komisch. (Foto: Foto: Reuters)

Und deshalb habe er das Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac im Rahmen der Konsultationen des so genannten Weimarer Dreiecks abgesagt.

Niemand hätte die Spekulationen in der Presse sonderlich ernst genommen, wenn nicht die wichtigsten Politiker in Warschau dazu Stellung genommen hätten.

Erst teilte das Präsidialamt mit, dass eine starke Magenverstimmung Grund für die Absage des Dreiertreffens gewesen sei. Doch dann nahm immerhin Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz ganz überraschend Stellung zu dem Text der taz. Dieser sei "verletzend".

Sprache des Stürmers

Und die neue Außenministerin Anna Fotyga befand: "Solch eine Häufung von Widerwärtigkeiten erinnert an die Sprache des Stürmers." Der Stürmer war bekanntlich ein Nazi-Hetzblatt - und es ist wohl das erste Mal, dass die linksalternative taz, die die restlose Aufarbeitung der NS-Zeit zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht hat, dieses Etikett bekommt.

Schon am 26. Juni war auf der Satireseite der taz in der Serie "Lumpen, die die Welt regieren wollen" unter dem Titel "Polens neue Kartoffel" ein Stück über Kaczynski erschienen, in dem dessen Vorbehalte gegen die Deutschen und gegen Homosexuelle aufgespießt wurden.

Das Stück war grob gestrickt und stellenweise schlicht ordinär. So heißt es in Anspielung auf eine Äußerung Kaczynskis während des Präsidentenwahlkampfs im Herbst 2005: "Oft genug hatte der oberste Pole ausposaunt, er kenne von Deutschland nicht mehr als den Spucknapf in der Herrentoilette des Frankfurter Flughafens."

Der Text wurde vom Sprachendienst des Außenamtes in Warschau übersetzt und in Auszügen unter die Rubrik "Die Auslandspresse über Polen" in eine Reihe mit ernsthaften Kommentaren und Analysen gestellt.

Das wurde offenbar dem langjährigen Leiter der Presseabteilung, Pawel Dobrowolski, zum Verhängnis, denn Ministerin Fotyga feuerte ihn. Und sein Nachfolger Andrzej Sados erklärte gleich, er werde nie mehr mit einem Redakteur der taz reden.

Die Ministerin verschärfte die Tonlage noch, indem sie erklärte, man erwarte in Warschau "eine Reaktion der deutschen Behörden". Nicht einmal Saddam Hussein oder der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko seien in dieser Weise angegriffen worden.

"Besonders geschmacklos, aber Satire"

Auch ließ sie verlauten, der Text beleidige nicht nur den Präsidenten, sondern "das ganze Land". Dieser Auffassung aber wollten sich die meisten Warschauer Blätter nicht anschließen.

Die linksliberale Gazeta Wyborcza befand: "Ein Staatsoberhaupt soll sich nicht mit solchen Lappalien abgeben!" Die konservative Rzeczpospolita schrieb von "schwachen Nerven des Präsidenten".

Für die Opposition war der Artikel ein gefundenes Fressen. Der stellvertretende Vorsitzende der liberalen Bürgerplattform, Jan Maria Rokita, spottete: "Das Bäuchlein tut ihm weh!"

Rokita hielt dem Präsidialamt vor, dass durch die Aufregung über einen niveaulosen Text einer kleinen Zeitung "der polnische Staat verliert".

Der frühere Außenminister Wladyslaw Bartoszewski befand kühl: "Ein Politiker soll das tun, was für sein Land wichtig ist. Zeitungsartikel können in einem Land, das ernst genommen werden will, kein entscheidender Faktor sein."

Die Chefredakteurin der taz, Basha Mika, räumt ein, dass einige Stellen in dem Text in der Tat "besonders geschmacklos" seien. Doch sei der Text eindeutig als Satire erkennbar.

Im übrigen verwies sie die polnische Botschaft in Berlin, die auf Anweisung Warschaus dagegen protestieren musste, auf die Pressefreiheit, die manche polnischen Politiker offenbar noch lernen müssten.

Das Außenamt in Berlin lehnte einen Kommentar ab.

© SZ vom 6.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: