Polen droht mit Veto:EU-Verfassung vor dem Scheitern

Lesezeit: 2 min

Polens Präsident Kwasniewski ist offenbar bereit, den EU-Verfassungsgipfel am Wochenende scheitern zu lassen, falls das Stimmgewicht seines Landes geschmälert wird. Falls der Gipfel scheitert, bleibt die EU vor allem eine Wirtschaftsgemeinschaft - und die Politische Union ein Wunsch.

Einen Tag vor Beginn der Regierungskonferenz über die erste EU-Verfassung trifft Bundeskanzler Gerhard Schröder Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski.

Schröder will bei dem Treffen nach Kompromisslinien im Streit über die neuen Abstimmungsregeln in den EU-Gremien suchen. Neben Spanien will bislang vor allem Polen an der im Vertrag von Nizza festgelegten Stimmengewichtung festhalten, die beiden Ländern fast ebenso großen Einfluss einräumt wie den großen Mitgliedsstaaten.

Die Führung in Warschau befürchtet, dass ein Einschwenken auf das von Berlin und Paris geforderte System der "doppelten Mehrheit" nach der jeweiligen Bevölkerungsgröße die Ratifizierung der EU-Verfassung im polnischen Parlament gefährden könnte. Kwasniewski, der auch Bundespräsident Johannes Rau trifft, kommt für den eigentlich zuständigen Regierungschef Leszek Miller nach Berlin. Miller liegt nach einem Hubschrauber-Absturz im Krankenhaus.

Fischer droht mit Kerneuropa

Außenminister Joschka Fischer drohte bei einer Regierungserklärung im Bundestag für den Fall des Scheiterns des EU-Verfassungsgipfels mit der Entstehung eines Kerneuropas. Zwangsläufig würde sich dann "ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" entwickeln, sagte Fischer.

Ob es ein positives Ergebnis in Brüssel geben werde, sei "offen", sagte Fischer. Notfalls müsse später weiter verhandelt werden. "Kein Ergebnis in diesem Jahr" sei besser als ein "schlechtes Ergebnis". Zum ebenfalls umstrittenen Punkt eines Gottesbezugs in der Verfassungspräambel hat die Unionsfraktion im Bundestag eine namentliche Abstimmung beantragt.

Ähnlich wie Fischer äußerte sich Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker. Sollte die Regierungskonferenz scheitern, würden die Kernstaaten der Europäischen Union bei der weiteren Integration voraussichtlich eigene Wege gehen, sagte Juncker der Berliner Zeitung.

Die Staats- und Regierungschefs der EU müssten sich ihrer Verantwortung gewachsen zeigen, forderte Juncker. Andernfalls komme "eine besondere Verantwortung auf die sechs Gründungsmitglieder zu", sagte der dienstälteste EU-Regierungschef. "Kerneuropa ist kein Ziel, könnte aber, was ich nicht wünsche, Folge einer Nicht-Einigung sein." Neben Luxemburg waren Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande und Belgien 1957 an der Gründung der Europäischen Gemeinschaft beteiligt.

Juncker warnt vor Vertagung von Problemen

Juncker warnte davor, Vorschlägen von Großbritannien und Polen zu folgen und wesentliche Streitpunkte bei der künftigen EU-Verfassung zunächst auszuklammern. Die Staats- und Regierungschefs müssten sich jetzt einig werden, ob auch in Zukunft noch jedes EU-Land einen Kommissar nach Brüssel schicken solle und wie die Machtverteilung zwischen großen und kleinen Mitgliedsländern aussehen solle, mahnte der Luxemburger. Als Kompromiss sei aber möglich, jetzt Beschlüsse zu fassen, die erst später in Kraft treten.

Streit gibt es unter anderem auch um die Forderung mehrerer kleiner Länder, jedes EU-Mitglied solle einen voll stimmfähigen Vertreter in die EU-Kommission entsenden. Mehrere Beteiligte, darunter Italien, Deutschland, aber auch Polen und Spanien, hatten bereits signalisiert, dass sie ein Scheitern des Gipfels einem faulen Kompromiss vorziehen würden.

© sueddeutsche.de/dpa/AP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: