Pflegeexperte Fussek:"Schlechte Heime sollten geschlossen werden"

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Claus Fussek, scharfer Kritiker des herrschenden Betreuungssystems, spricht über die Gründe für das kalte Geschäft auf Kosten der Senioren.

Matthias Drobinski

SZ: Herr Fussek, haben Sie Angst davor, alt zu werden?

Claus Fussek: Ich habe Angst davor, pflegebedürftig zu werden, in einem Zweibetzimmer, mit einer Windel, weil ich dann einfacher zu behandeln bin. Ich bekomme seit zehn Jahren jeden Tag fürchterliche Berichte von mutigen Pflegekräften aus Pflegeheimen, der Bericht überrascht mich von daher nicht. Und wenn sich da nicht etwas grundsätzlich ändert- ja, dann habe ich Angst davor, im Alter gepflegt werden zu müssen.

SZ: Ist das nicht Panikmache? Gibt es nicht auch viele gut geführte Heime, in denen sich alte Menschen wohlfühlen? Hat sich nicht die Pflegesituation in den vergangenen Jahren verbessert - auch durch Ihre Kritik?

Fussek: Natürlich gibt es hervorragende Heime, in denen ausgezeichnete Pflegerinnen und Pfleger eine bewundernswerte Arbeit leisten. Und zum Glück gibt es auch Träger, die die Kritik vor allem der Angehörigen und der alten Menschen ernst genommen haben. Trotzdem können wir nicht die Krise leugnen - das ist, als ob wir sagten, es gebe kein Rechtsextremismus-Problem, weil die meisten Menschen keine Nazis sind! Ja, natürlich werfen jetzt die Politiker und Verbandsvertreter die Beruhigungsmaschine an und sagen: Das sind nur Einzelfälle. Damit aber verharmlosen sie das Problem!

SZ: Warum? Dass es mehr Pflegebedürftige geben wird, ist unbestritten.

Fussek: Aber ich merke, dass es der Öffentlichkeit sehr schwer fällt, das wahre Ausmaß dieser Veränderungen wirklich zu begreifen. Es geht nicht um ein paar Verbesserungen, das Bewusstsein muss sich ändern. Es geht um Menschenrechte. Jeder Mensch hat das Recht, ausreichend zu trinken und zu essen zu bekommen, er hat das Recht, nicht mit Geschwüren im Fleisch vergessen zu werden. Alte Menschen menschenwürdig zu pflegen, ist nicht marktfähig, dies soll aber nach dem Willen der Politik marktfähig sein. Das ist das Problem. Pflege ist eine Aufgabe der Solidargemeinschaft, nicht des Marktes.

SZ: Der Trend geht aber genau in die andere Richtung. Ist es da nicht naiv zu sagen: Ich will aber alles anders haben?

Fussek: Ich rede ja nicht der Geldverschwendung das Wort, und es gibt ja viele Einrichtungen, die zeigen, dass man gut wirtschaften und menschlich pflegen kann. Aber es ist naiv zu leugnen, dass die Pflege auch ein gutes Geschäft auf Kosten der alten Menschen sein kann: für das Heim, das mit wenig Personal auskommt, für das Krankenhaus, das Druckgeschwüre behandelt, für den Chirurgen, der den Oberschenkelhalsbruch operiert, für den Rettungsdienst, der Pflegebedürftige durch die Gegend fährt.

SZ: Was müsste sich jetzt ändern?

Fussek: Die guten Pflegeheime müssten in die Offensive gehen. Ein gutes Pflegeheim sollte zum Beispiel unangemeldete Kontrollen geradezu fordern - das wäre Marktwirtschaft. Ein gutes Heim sollte seinen Qualitätsbericht ins Internet stellen und Beschwerden als kostenlose Weiterbildung begreifen. Das gegenwärtige System bestraft gute Pflege. Wir müssen sie aber belohnen. Und schlechte Heime sollten geschlossen werden.

SZ: Und was sollte die Politik tun?

Fussek: Sie sollte die Ideologie vergessen, mit der sie im Augenblick Gesundheits- und Altenpolitik macht und parteiübergreifend die Vorschläge, die es schon seit Jahren gibt, in die Tat umsetzen. Wir haben ja kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem! Oder wir akzeptieren den Zustand und schreiben ins Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist altersabhängig."

Der Sozialpädagoge Claus Fussek kämpft seit fast drei Jahrzehnten für die Humanisierung der Altenpflege, sammelt Beschwerden, geht Politikern auf die Nerven- inzwischen heißt der Münchner mal "Pflegerebell", mal "Engel der Alten".

© SZ vom 1.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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