Pfiffe zur französischen Nationalhymne:Heilige Marseillaise

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Missklänge vorm Länderspiel Frankreich gegen Tunesien: Die französische Nationalhymne wurde gnadenlos ausgepfiffen - und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ist außer sich.

Gerd Kröncke

Es hätte ein schöner Auftritt sein können, die junge Frau namens Lââm gab ihr Bestes. Schließlich ist es eine Ehre, im Stade de France die Marseillaise zu singen, besonders wenn das Stadion beim Länderspiel nahezu ausverkauft ist.

Will es nicht mehr hinnehmen, dass die Marseillaise ausgebuht wird: Nicolas Sarkozy. (Foto: Foto: Reuters)

Die Französin Lââm, 37, ist Kind tunesischer Eltern, und die Zuschauer auf den Rängen waren fast überwiegend Menschen aus den Pariser Vorstädten, also ebenfalls maghrebinischer Herkunft. Vor dem Anstoß des Spiels der Equipe tricolore gegen Tunesien am Dienstagabend sang die junge Frau die Nationalhymnen.

Doch als sie die Marseillaise anstimmte, war sie kaum zu hören. "Allons enfants de la patrie ..." wurde von Pfiffen übertönt, als sei der falschen Mannschaft ein fauler Elfmeter zugesprochen worden.

Solche Missklänge sind nicht neu, aber der Präsident der Republik will sie nicht mehr hinnehmen. Nicolas Sarkozy hatte das Spiel am Bildschirm verfolgt. Er war außer sich und zitierte den Chef des französischen Fußballbunds in den Elysée-Palast, wo sich Jean-Pierre Escalettes eine ungewöhnlich scharfe Verwarnung anhören musste.

Das nächste Mal gibt es die Rote Karte, für das Publikum. Wenn künftig die Nationalhymne verächtlich gemacht werde, so interpretiert Sportministerin Roselyne Bachelot ihren Präsidenten, sei das Spiel sofort abzupfeifen. Ihr Staatssekretär, ein früherer Rugby-Trainer, steuerte die Idee bei, gar keine Treffen mehr mit maghrebinischen Mannschaften in Paris anzusetzen.

Schon zweimal war es zu ähnlichen Eklats gekommen, als vor den Spielen gegen Algerien und Marokko gebuht und gepfiffen wurde. Dabei könnten sich die Jungen aus der Banlieue durchaus mit denen identifizieren, die auf dem Rasen für Frankreich spielen. Die Fußballer kommen aus ihren eigenen Reihen, fast alle sind Kinder der Immigration.

Doch als Hatem Ben Arfa, der Tunesier, der auch Franzose ist, am Dienstag nach der Halbzeit eingewechselt wurde, tönten die Dissonanzen von den Rängen besonders feindselig. Sie wollen selbst französische Pässe haben, aber verübeln ihrem Landsmann, dass er nicht für Tunesien spielt.

Das ist natürlich alles sehr irrational. Die Jungen aus der Banlieue lassen sich ihre Wut nicht austreiben. Etwas hilflos versucht der Mittelfeldspieler Ben Arfa sie zu begreifen. "Sie wollen zeigen, dass es sie gibt", sagt er, das müsse man irgendwie nachfühlen. Sie verstehen sich eben nicht als Franzosen. Mannschaftskapitän Thierry Henry sprach am Dienstag sogar, wenn auch scherzhaft, von einem Auswärtsspiel der Franzosen.

Nach den Vorstadt-Revolten, die vor drei Jahren das Land an den Rand des Bürgerkriegs brachten, ist es zwar ruhiger geworden, aber die Immigranten-Kinder sehen sich nach wie vor als Bürger zweiter Klasse - wenn sie denn in solchen Kategorien denken. Und oft genug werden auch die getreten, die ein bisschen Licht ins Dunkel der Vorstadt bringen wollen.

Als der Regisseur Luc Besson am Montag die Außenaufnahmen seines Thrillers "From Paris with Love" in dem Vorort Montfermeil fortsetzen wollte, hatten Jugendliche über Nacht ein Dutzend Autos abgebrannt, die in dem Film eingesetzt werden sollten. Resigniert brach Besson, der sich oft bemüht hat, unterprivilegierten Jugendlichen Kultur zu vermitteln, die Dreharbeiten ab.

Das Fußballspiel Frankreich-Tunesien endete übrigens mit einem 3:1 für die Gastgeber, ein Sieg ohne Belang. Die jungen Männer aus den Vorstädten fuhren heim. Sie hatten es aller Welt wieder mal gezeigt.

© SZ vom 16.10.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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