Parteitag:Grüne spielen Vorwärtsverteidigung

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Vor der Wahl ist nach der Visa-Affäre und dem Absturz Joschka Fischers. Um die Publikumsgunst wirbt die Partei jetzt mit dem Thema Arbeit.

Von Robert Roßmann

Links antäuschen, rechts vorbeigehen, dafür ist Stan Libuda berühmt geworden. Auch die Grünen waren damit oft erfolgreich.

Fischer auf dem Parteitag der Grünen. (Foto: Foto: dpa)

So passt es durchaus, dass Claudia Roth und Reinhard Bütikofer heute den kleinen Parteitag mit einer Pressekonferenz im Raum Libuda der Arena "Auf Schalke" eröffnen.

Während die Blauweißen in Stuttgart ihr Glück versuchen, wollen die Grünen an der Heimstatt von Schalke04 einen Weg aus ihrem Stimmungstief finden. Die Lage scheint schier aussichtslos zu sein.

Sechs Wochen vor der Landtagswahl sehen die Umfragen Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen acht Punkte zurück, im Bund sind es inzwischen sogar14. Und der Starwahlkämpfer Joschka Fischer, oft die letzte Rettung, liegt selbst am Boden.

Grüne Jubiläumswolle

Beim letzten Spitzen-Treffen der Grünen, der Januar-Klausur in Wörlitz, war die Welt noch eine andere. Fischer sonnte sich in der Anerkennung für seinen Tsunami-Einsatz. Rot-Grün war im Bund gleichauf mit der Opposition. Der Sieg in Kiel schien sicher zu sein, und selbst in Nordrhein-Westfalen lagen die beiden Regierungsparteien knapp vorn.

Man feierte 25 Jahre Grüne, strickte mit grüner Jubiläumswolle um die Wette und spazierte in der Januar-Sonne durch den weltberühmten Park vor dem Tagungshotel. Manch Grüner erinnert sich an Wörlitz inzwischen wie an ein längstvergessenes Zeitalter. Dabei ist es erst drei Monate vorbei.

Der Wähler ist inzwischen ein flüchtiges Wesen. Und genau mit dieser Erkenntnis versuchen die Grünen jetzt, sich beinahe autosuggestiv Zuversicht einzuhämmern. Egal mit wem man spricht, man hört immer dasselbe Mantra: Der Rückstand in NRW sei noch aufzuholen. Schließlich sei der Wählerwille volatil wie nie.

Thema Visa wird nicht angeschnitten

Jeder dritte Bürger wisse noch gar nicht, dass am 22.Mai Landtagswahl sei - und die Hälfte der Kundigen habe sich noch nicht entschieden. Außerdem sei Peer Steinbrück angesehener als Jürgen Rüttgers, und Bärbel Höhn beliebter als alle Liberalen zusammen.

Der Lagerwahlkampf "Wir gegen die Unsozialen", den Schröder mit seiner Regierungserklärung eingeläutet habe, werde zusätzlich Wirkung zeigen. Und dann gebe es da ja noch Joschka Fischer: Dem Minister werde bei seinem öffentlichen Auftritt vor dem Visa-Untersuchungsausschuss am 25.April ein Comeback gelingen.

Mit seiner synkopischen Entschuldigungspolitik - immer einen Takt zu spät - hatte Fischer die Grünen erst richtig in die Krise geritten. Jetzt hofft die Partei, dass der Minister sich am eigenen Schopf wieder herauszieht - und die Grünen gleich mit. Auf der Tagesordnung des Parteitags sucht man deshalb die Visa-Politik vergebens. In der Endphase des Wahlkampfs will man das Thema nicht unnötig anheizen.

Stattdessen werden so wichtige Themen wie die Sicherheitslage im ungarischen Atomkraftwerk Paks oder die Nutzung der Kyritzer Heide diskutiert. Die Parteispitze verweist, genervt von der Kritik, zwar auf den Punkt "Aktuelle Debatte", unter dem man sich gewiss mit Visa und Fischer befassen werde. Doch dabei soll es dann auch bleiben.

Das Motto: Arbeit mit Zukunft - unser Revier

Die Grünen wollen nach Gelsenkirchen nicht mehr als untergehende Partei der Krise, sondern als zukunftsfrohe Partei der Arbeit wahrgenommen werden. Mit einem Kraftakt versuchen die Grünen, das Image der Feldhamster- und Windräder-Partei abzustreifen. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hatte bereits vor zwei Wochen beklagt, viele Bürger lebten noch mit einem überkommenen Grünen-Bild aus den achtziger Jahren.

Dabei habe die Partei Dirigismus und Bürokratismus in der Umweltpolitik längst aufgegeben und sei jetzt die wahre moderne und damit arbeitsplatzschaffende Partei. Das müsse man in Zukunft nur deutlicher vermitteln.

Mutig haben sich die Grünen deshalb Gelsenkirchen als Ort für ihren Parteitag ausgesucht, mit 26 Prozent Arbeitslosen das Schlusslicht in Westdeutschland und wahrhaft keine Hochburg der Grünen. Unter dem Motto "Arbeit mit Zukunft - unser Revier" wollen die Delegierten sich öffentlichkeitswirksam vor allem mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit beschäftigen.

Der Vorstand hat dazu Anträge zu den Bereichen "Innovation", "Steuern" und "Gerechtigkeit" vorgelegt. Die Annahme gilt als sicher. In den Anträgen wird zwar beklagt, dass es "leider auch Stimmen aus der SPD und den Gewerkschaften gibt, die unter Rückgriff auf Vorurteile der siebziger Jahre ökonomische Dynamik und ökologische Verantwortung gegeneinander setzen".

1000 Sonnen statt 1000 Feuer

Ansonsten halten sich die Grünen aber mit Kritik am Koalitionspartner zurück. Statt dessen bieten sie eine breite Palette von Vorschlägen. So sollen die Ausgaben für Bildung und Forschung auf drei Prozent des Sozialproduktes erhöht und Zukunftsbranchen wie Bioraffinerien, erneuerbare Energien oder die Nanotechnologie besser gefördert werden.

Der Bereich Gesundheit soll "zur Wachstumsbranche" werden. Außerdem sind Nachbesserungen bei HartzIV vorgesehen, etwa bei der Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose.

"1000 Sonnen statt 1000 Feuer" sollen künftig im Revier strahlen, sagt Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Und hofft damit, noch rechtzeitig vor dem 22.Mai reüssieren zu können. Manch Grünem wäre wohler, wenn er sich in diesem Wahlkampf zusätzlich auf einen starken Joschka Fischer stützen könnte.

Doch die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen Parteifreunde in Abwandlung eines alten Spruchs über Stan Libuda erklärten: "An Gott kommt keiner vorbei, außer Joschka Fischer."

© SZ vom 9.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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